Das ewige Weinen hat ein Ende … meine stetigen Klagen über den Verlust eines der kreativsten Zweiergestirne im weiten Americana-Feld haben zwar nicht ihren Kern eingebüßt (die Civil Wars sind und bleiben gloriose, aber vergangene Geschichte), dennoch gibt es keinen Grund mehr zur Klage. Überzeugte bereits ihr langjähriger Partner jüngst mit einem Album-Alleingang, der selige Erinnerungen weckte, so verbindet das gegenwärtige Williams-Wurzelwerk ebenso kunstvoll wie mühelos die wehe Vergangenheit mit einer trostspendenden Zukunft. Anders als der frühere Gefährte verzichtet die mit allen Roots-Gaben gesegnete Songwriterin und bestürzend tief berührende Sängerin gänzlich auf knackigere Country-Rock-Elemente, entfernt – mit Ausnahme der singenden Steel-Gitarre – etwelches elektrisches Instrumentarium aus ihren filigran-verletzlichen, dennoch greifbar handgemachten Akustik-Arrangements, streicht das Schlagwerk komplett und überlässt es Akustik-Gitarre, Kontrabass, Fiddle, Dobro und Mandoline, ein irden-irisierendes, bodenverhaftet kunstvolles, gewachsen-gefühlvolles Gewebe zu spinnen, das bei aller handwerklichen Meisterschaft ganz allein dazu dient, eine ebenso unverwechselbare wie betörend berührende Stimme in den Mittelpunkt eines durch Naturnähe nachhaltig wirkenden Song-Werks zu stellen (eine gekonnt gesetzte männliche Zweitstimme schenkt mitunter den gewohnt-geliebten Duett-Klang). Vergessen sind die vorsichtigen Venus-Versuche, das gewohnt irdene Terrain zu verlassen, in wurzelverbundenen Weisen, die herznah aus dem ewigen amerikanischen Liederbuch genommen scheinen, verbindet die beseelte Sängerin direkt ins Blut fließende Melodien von bleibender Güte mit beeindruckend beweglicher Stimmführung und hinterlässt im erstaunten, erfahrenen Lauscher schon bei der zweiten Hörbegegnung das Gefühl, die emotionsvollen Lieder bereits seit Ewigkeiten zu kennen und zu lieben. Produziert von Kenneth Pattengale, entstand eine Americana-Klassiker-Sammlung, die die Erinnerungen an eine selige Vergangenheit auf eine neue Ebene hebt. Zwölf Songs of Joy – ein ebenso erdverbundenes wie erhebendes Erlebnis. (cpa)
Lula Wiles – What Will We Do
LP/CD. Oh mein Gott – ich bekomme jetzt noch gelinde Angstattacken bei der Vorstellung, dass dieser lupenreine Americana-Edelstein unbemerkt an mir vorbeigezogen wäre wie möglicherweise so viele ungehörte Alben, von denen man, alltagsdumpf und dröge im Rezensenten-Elfenbeinturm vor sich hin dünstend, nie erfährt. Ich weiß nicht, wie viele LP-Lücken ich am Ende auf meiner persönlichen Hör-Soll-Seite finden werde, Lücken, von denen ich nie erfahren werde; diese aber, Daniel sei Dank, durfte ich glücklichen Sinnes schließen. Dabei hätte mich allein das aller Ehren werte Smithsonian-Folkways-Label aufhorchen lassen müssen, das mit sicherem Gespür für die wahrhaften amerikanischen Traditionen dieses Singer-Songwriter-Country-Folk-Debüt der drei genialen Grazien dem Licht der Veröffentlichung zuführte, zelebriert das Trio Isa Burke, Mali Obomsawin und Eleanor Buckland doch hier vor Sing- und Spiel-Lust sowie -Kunst strahlend eine ebenso zeitlose wie zeitgemäße Wurzelpflege, die ehrlichen Respekt vor dem musikalischen Erbe mit wachen Sinnen für den aktuellen amerikanischen Alltag vereint.
In zehn Eigenkompositionen und zwei wohlgewählten Fremdwerken (die einfühlsam erweiterte irische Ballade What Will We Do und den Parton/Wagoner-Klassiker The Pain Of Loving You als Trio-Verneigung vor der Parton/Harris/Ronstadt-Fassung) vereinen die drei jede für sich individuell leuchtenden, aber im himmlischen Dreiklang alles überstrahlenden Sängerinnen und begabten Viel-Instrumentalinnen (A- und E-Gitarren, Banjo, Bass, Fiddle, Mellotron) akustische Be-Good-Tanyas-Intensität, naturnah gepflegte Wailin’-Jennys-Eleganz, handgemachte Hazeldine-Heftigkeit und klassische Carter-Family-Kunst, erdigen Country-Folk, akustischen Back-Porch-Honky-Tonk, aktuelle Americana-Alternativen und vor deftigen Gitarren bebende Roots-Rock-Breitseiten, hauchzarte A-cappella-Momente, schmerzlich sehnende solitäre Balladen, belebtes Country-Folk-Fieber und E-Gitarren-gleißenden Crosby-Stills-and-Nash-Country-Rock (deren Drei-Stimmen-Himmel dabei die weibliche Krone aufsetzend). Gepaart mit den bewegend ehrlich-wachen Texten und begleitet von einem 40-seitigen, an persönlichen Worten der drei Americana-Artistinnen reichen Booklet, hält man hier ein in jeglicher Hinsicht echtes Schmuckstück in den Händen. (cpa)
Our Native Daughters – Songs of Our Native Daughters
CD. Auf allen Ebenen bewegendes, zutiefst berührendes Projekt von vier verschiedenen Musikerinnen-Persönlichkeiten, die nicht allein das gemeinsame Banjo-Spiel eint. Auf Initiative von Rhiannon Giddens fanden sich Amythyst Kiah, Leyla McCalla und Allison Russell zusammen, um die immer noch unendliche Geschichte der Diskriminierung, des Missbrauchs, der Versklavung afroamerikanischer Frauen aus weiblicher Sicht aufzuarbeiten, wobei die aus vielerlei Wurzeln gespeiste musikalische Umsetzung mitunter als schwacher akustischer Trost für die Schrecken in den Worten dienen muss. Dennoch gelingt es den vier Sängerinnen und Saitenspielerinnen, die Jahrhunderte der Unterdrückung in allen nur erdenklichen Ausformungen so beherzt und voller Mitgefühl darzureichen, so ehrlich emotional und auch musikalisch reif, dass die 13 häufig auf historischen Texten fußenden, zum größten Teil originalen Songs gleichzeitig als Anklage, als Anregung zum Nachdenken und als Zeichen zum Aufbruch wirken.
Bei aller tiefgründigen Ehrlich- und Ernsthaftigkeit aber bleiben die vier Grenzwanderinnen nicht zuletzt auch großartige Interpretinnen des eigenen und des tradierten Liedguts, und so gelingt ihnen das schmerzlich schöne Wunder, die verbale Wut und Wucht akustisch so mitreißend und vielfältig aufzuarbeiten, dass nicht nur der kritisch erzogene Konsument von der durchweg handgemachten, vorwiegend karg arrangierten, sämtliche vokale Varianten der vierstimmigen Besetzung nutzenden Wurzelstoff-Sammlung zwischen Folk- und Swamp Blues, erdigem Blues Rock, Zydeco und frühem Rhythm ’n’ Blues, Country Folk und Americana, Reggae und schillerndem Highlife auch musikalisch mitgerissen wird. Vom Smithsonian-Folkways-Label auch optisch wertig dargereicht und von einem gerade für weiße Männer höchst lehrreichen 36-Seiten-Booklet begleitet.