Von der Bühne ins Krankenhaus. Kein Unfall, sondern bewusste Entscheidung. Wie die gelernte Schauspielerin Jana Hampel Fräulein Schleife entdeckte und seither als Clown kranken Menschen ein paar schöne Augenblicke schenkt. Der Clown, er macht seine Schwächen zu seinem Kapital, sagt Jana.
FT: Jana, sind Clowns komische Menschen?
Jana Hampel: „Verallgemeinerungen sind nicht mein Ding. Ich finde, alle Menschen sind auf ihre Weise komisch. Der Clown macht sich das nur in seinem Beruf zunutze, er ist bewusst komisch. Als Mensch bist du vielleicht geschickter im Verbergen deiner Schwächen, als Clown machst du sie sichtbar. Das ist die große Kunst dabei, sich verletzlich zu zeigen, unvollkommen, gleichzeitig aber genau damit präsent zu sein, genau damit den Raum auszufüllen. Von Joseph Beuys stammt der Ausspruch ,Zeige deine Wunden und du wirst geheilt‘. Dafür steht für mich auch der Clown, er macht seine Schwächen zu seinem Kapital. Als Clown bist du der Antiheld und die Menschen dürfen über dich lachen. Als Clown stehst du in der Hierarchie nicht mal ganz unten oder du bist einfach kein Teil mehr von ihr.“
Du hast ganz klassisch Schauspielerei gelernt. Liebes Ding, Biest oder total vergeistigt, gab es eine Paraderolle auf der Schauspielschule und später auf der Bühne?
„Ich hatte nicht so eine Paraderolle. Vorgesprochen habe ich die heilige Johanna, also die junge Heldin. Die Rolle der Heldin hat mich immer mehr interessiert als die der Liebhaberin. Und ich spiele für mein Leben gern Anton Tschechow, den Meister der Tragikomik. Hm, eigentlich bin ich immer bei den sogenannten Losern und Gedemütigten. Bei denen, die weniger darzustellen haben, dafür aber menschlich nahbarer sind und entweder ganz naiv in ihr Unglück rasen oder einen Galgenhumor für sich und ihr Schicksal entwickeln.“
Wann wusstest du, du wirst Clown?
„Clown war nie mein Kindheitstraum. Nach meinen Theatererfahrungen habe ich schnell gewusst, dass es in dem doch sehr klassischen Hierarchiesystem Theater für mich keinen Platz gibt. Dass die Theaterwelt nicht meine Welt war, schmerzte mich natürlich, denn ich wollte doch Schauspielerin sein, wollte Theater spielen. Gleichzeitig hat mich die Enge des begrenzten Theaterraums bedrückt. Ich wollte aus dieser Welt wieder ausbrechen. Die Entscheidung, Clown zu werden, stand am Ende eines längeren Prozesses.“
„Ein Naturgeschöpf aus dem 19. Jahrhundert, romantisch in etwas verdrehter Form.”
Wie wird man Clown?
„Ich empfand die Szene als elitär, sah keinen Sinn für mich, Teil von ihr zu sein. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich mir als 16-Jährige mit einem Freund, der damals schon auf der Schauspielschule war, einen Clownauftritt ausgedacht hatte für die Schwester unseres besten Freundes. Sie lag mit Leukämie im Krankenhaus. Da wusste ich, das möchte ich machen. Ich habe telefoniert und mich beworben. Ich besuchte ein längeres Seminar des Vereins ROTE NASEN Deutschland, stiefelte hochschwanger zum Casting und jetzt bin ich Clown.“
Dein Alter Ego ist Fräulein Schleife, was ist das für ein Mensch?
„Fräulein Schleife ist sehr kindlich und sehr offen mit ihren Gefühlen. Sie erfindet gerne Geschichten, dichtet, was ihr einfällt. Ein Naturgeschöpf aus dem 19. Jahrhundert, romantisch in etwas verdrehter Form.“
Tante Greti und deine Urgroßtante waren Vorbilder für Fräulein Schleife, hast du die beiden um Erlaubnis gefragt?
„Oh nein, die eine Tante kannte ich ja nur aus Erzählungen, sie war geistig nicht ganz auf der Höhe und dadurch auch oft Zielscheibe der Kinder. Mein Vater sagte, er hätte ihr immer ein Stichwort zu irgendeiner Ballade gegeben und Tante Sophie habe dann sofort mit großer Geste weiterzitiert. Die andere Tante lebt noch, aber sie weiß nichts von ihrer Ehre. Das war auch nur so der Anfangsimpuls für die Figur.“
Du arbeitest für ROTE NASEN e. V. Was treibt dich an?
„Mich treiben die intensiven Begegnungen an. Der Clown als Beziehungskünstler hat ja ganz andere Möglichkeiten als in einer ,normalen‘ Begegnung. Es geht schnell um tiefere Schichten.“
Wie war das erste, zweite und das dritte Mal, tut es dann weniger weh?
„Mir tat es nie weh, nur war die Aufregung am Anfang größer, aber für mich geht es darum, so weit wie möglich in einen Zustand der Freiheit zu kommen, damit sich das Gegenüber anstecken kann und ein freier Raum entsteht. Ich kann meine alltägliche Welt ganz hinter mir lassen und als Clown in allem, was mir begegnet, etwas ganz Erstaunliches und Bemerkenswertes finden. Ich liebe die sehr intensive und angstfreie Zeit mit meinem Partner und den Kindern, deren Eltern und Freunden. Es ist einfach ein schönes Gefühl zu spüren, wenn sich alle entspannen und selbst in den schwersten Stunden Freude entsteht. Einen Moment werde ich nie vergessen, als Karl, ein kleiner Junge, der an einem Hirntumor litt, mich bat, ihn ganz fest zu halten. Ich fühlte mich von so viel Vertrauen geehrt. Seine Mutter erzählte mir, dass er kurz bevor er starb noch nach meinem Clown gefragt hatte. Ich war seine Clownsschwester, war überwältigt von der Bedeutung, die meine Clownsfigur bei ihm eingenommen hatte. Ich glaube, es waren die Momente des Spielerischen inmitten der Bedrücktheit, die den Clown für ihn so wichtig gemacht haben.“
„Konzentration auf das Lebendige”
Wie schaffst du es, fröhlich zu bleiben, wenn du dem Tod begegnest? Kommt keine ohnmächtige Wut auf?
„Es geht vielleicht gar nicht darum, fröhlich zu sein, sondern um die Konzentration auf das Lebendige. Es gibt in jedem Menschen bis zum letzten Atemzug etwas Lebendiges und Schönes und den Wunsch nach Nähe, Schönheit, Liebe und Wärme, sogar nach Spaß.
Es geht auch nicht darum, den Zustand als schlecht und ungerecht oder gut und gerecht zu bewerten. Es geht darum, miteinander zu sein, wahrhaftig zu sein, und gerade weil der Clown eine Kunstfigur ist, gelingt es dadurch oft leichter. Paradox.
Es gibt sehr schwere und traurige Momente. Wut hatte ich noch nie, Trauer schon. Meine Aufgabe besteht nicht darin, durch Empathie in der Trauer mitzugehen, sondern mit Empathie bis zum Schluss den ganzen Menschen wahrzunehmen. Es ist auch ein Lernprozess, die einzelnen Schicksale wieder loszulassen, sonst könnte ich diesen Beruf nicht lange machen.“
Kannst du davon leben?
„Ich kann davon auf bescheidene Art leben. Wir sind alle Freiberufler und nehmen auch andere Aufträge von Hörfunk, Film oder Theater an. Ich versuche mich gerade noch in einer anderen Kunstform, aber sie steckt noch so sehr in den Anfängen, dass ich mich scheue, davon zu erzählen.
Geld müssen wir alle verdienen, aber meistens bin ich als ‚Mensch‘ auch fröhlicher nach einer Visite. Die Clownsenergie schwingt noch etwas nach. Ich hoffe, ich irre mich nicht in der Annahme, dass ich auch für mein tägliches Leben immer häufiger das Gestern und Morgen vergesse, und das, was ist, genieße. Das ist vielleicht noch mehr Wunsch als Wirklichkeit, aber mein Clown arbeitet an mir.“
Schleifen sind besser
Jana Hampel erblickte 1973 in Hessen das Licht der Welt. Jana wollte auf die Bühne und lernte ganz klassisch den Schauspielberuf an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Schon bald pendelte sie von den Münchner Kammerspielen aus zwischen Staatstheater, Stadttheater und Freilichtfestspielen.
Soweit so falsch. Die herbeigesehnte Theaterwelt war es nicht und so dauerte es bis kurz vor der Geburt des Sohnes Henri bis Jana ihre wahre Berufung gefunden hatte. Sie ging zu den Roten Nasen e.V. und wurde – Clown. Gefunden hatte sie Fräulein Schleife, ein vergeistigtes Naturgeschöpf aus dem 19.Jahrhundert, das auch irgendwie auch Charakterzüge von Janas Tanten trägt. Die Clownfigur Fräulein Schleife liebt Schleifen. Sie sind schön, geben Halt, und können wieder gelöst werden. Schleifen sind einfach besser als Knoten. „Fräulein Schleifes Mission ist es, durch Anarchie, Träume, Liebe, Lied und Witz Knoten zu lösen bei Kranken, Lebensmüden und Einsamen“, sagt Jana. Jana lebt mit ihrem Sohn, Henri, und ihrem Mann, Stefan, in Berlin.
Improvisieren statt operieren
Der ROTE NASEN Deutschland e.V. (www.rotenasen.de) ist Partner von RED NOSES – Clowndoctors International, einer internationalen, künstlerischen Organisation, die Lachen und Lebensfreude zu kranken und leidenden Menschen bringen will. Der Verein arbeitet seit 2003 in vielen Gesundheitseinrichtungen und Kliniken. Aktuell schenken 50 Künstlerinnen und Künstler jährlich 47.500 Menschen mit ihren Clownvisiten fröhliche Augenblicke. Genau genommen sind es 30 ROTE NASEN Clowns und 22 Partnerclowns.
Die Clowns sind keine Mediziner. Sie improvisieren anstatt zu operieren. Ihre Medizin ist der Humor. Die ROTE NASEN Gruppe ist in 10 Ländern tätig. Im internationalen Verbund besuchen jährlich mehr als 380 ROTE NASEN Clowns rund 600.000 Menschen in 800 medizinischen und sozialen Institutionen. Der Verein ist auch Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.