Nachhaltigkeit ist im Trend. Aber wie nachhaltig ist der Trend selbst und hat die Nachhaltigkeit tatsächlich die Branche erfasst oder geht es doch noch immer um einen Nischenmarkt, der zwar wächst, aber immer noch ein Nischenmarkt bleibt? Produkte, die in Europa produziert werden, sind wahrlich nicht zwangsläufig deswegen gleich nachhaltige Produkte und der Verzicht auf Kinderarbeit macht aus einem Kleidungsstück noch lange kein fair und ökologisch sauber produziertes. Aber es sind kleine Schritte, die den Markt in die richtige Richtung führen. Das sagt auch Christiane Schnura, Koordinatorin bei der Clean Clothes Campaign, in unserer aktuellen Titelgeschichte und das völlig zu Recht.
Eine andere Form nachhaltigen Wirtschaftens ist das Reduzieren von Abfall. Bei der Produktion etwa, wenn sich kleinere Einheiten zu größeren vernetzen und wegkommen von der Überproduktion rein absatzgetriebener Hersteller, die über Mengen und Minimargen Profit einfahren und stattdessen auf flexible, kostenminimierte und vor allem nachfrage-orientierte Wertschöpfungsprozesse setzen. Micro Factories sind im Trend. Wer erfahren will, wie sie funktionieren und was mit ihnen möglich ist, sollte die kommende Ausgabe der Texprocess im Mai in Frankfurt besuchen. Nachhaltig wirtschaften heißt aber auch, Produkte so lange wie möglich zu nutzen. Wir haben im schwedischen Eskilstuna eine Mall besucht, die ausschließlich Secondhand-Ware verkauft. Die Idee dahinter: Alte Gegenstände erhalten durch Reparatur und Upcycling neues Leben – und jeder kann mitmachen.
Nachhaltigkeit bedeutet aber auch Wandel und die Fähigkeit dazu. Steinkohle ist ein Relikt einer Zeit, als rauchende Schlote ein Sinnbild von Prosperität der Industrienation Deutschland waren. Heute hat sich das Bild seit geraumer Zeit schon überholt, aber die lange Tradition der Essener Zeche Zollverein bleibt. Das ehemalige Steinkohlebergwerk und Weltkulturerbe der UNESCO beherbergt auch einen Store des jungen Labels GRUBENHELDEN. Sowohl der Laden als auch die dargebotene Mode lassen authentisch die Geschichte des Bergbaus wieder aufleben.
Auch das Land Bangladesch ist zum Sinnbild geworden. Nicht erst seit dem tragischen Einsturz des Rana Plaza vor bald sechs Jahren, bei dem mehr als 1.100 Menschen ihr Leben verloren haben; eines für eine traurige Tradition, in der Menschen unter überaus fragwürdigen, vor allem aber lebensgefährlichen Bedingungen für westliche Modemarken schuften müssen und das für einen spärlichen Hungerlohn. Sicher, auch in Bangladesch geht es mit kleinen Schritten in die richtige Richtung. Aber es passiert unterm Strich immer noch zu wenig und das dann auch zu langsam. Manchmal passieren aber Geschichten, die fast wie ein Märchen klingen, wie die eines kleinen Zettels, der das Leben zweier Familien verändern sollte. Geschrieben hat ihn Gazi, ein Textilarbeiter. Ein Hilferuf, den die Arzthelferin Claudia Klütsch in einem neuen Herrenhemd vor einigen Jahren gefunden hatte. Der Hilferuf blieb nicht ungehört. Doch wandeln sich die Branche, die billig produzieren – und der Verbraucher, der billig kaufen will? Nun, die Antwort ist offenbar nein. Klütsch schrieb ein Buch und erfuhr damit ein großes Medienecho. Darüber hinaus ist leider wenig passiert. Und dennoch hat sich etwas verändert – zumindest für zwei Familien.
Ihr Markus Oess