Autor: Markus Oess
Er war auf höchster Ebene in der Modewelt unterwegs und hat dann die Seiten gewechselt. Dr. Marc Schumacher, geschäftsführender Gesellschafter von LIGANOVA, einer Agentur für Markenkommunikation, beschäftigt sich im Job immer noch mit Messen – branchenübergreifend. Seine Kritik: Den Plattformen fehle zu häufig die Relevanz – und der richtige emotionale Kick.
FT: Herr Dr. Schumacher, waren Sie in Berlin zur Fashion Week Herbst/Winter 2019/20?
Dr. Marc Schumacher: „Ja, ich war zwar dort, aber begeistert war ich nicht gerade.“
Wie spannend fanden Sie es für Modeeinkäufer?
„Ich möchte mich ungern zu denjenigen zählen, die bei dem Totgesang auf Berlin mit einstimmen. Dazu ist der Standort viel zu wichtig. Aber ich muss mich schon fragen, aus welchem wichtigen Grund ein Einkäufer nach Berlin kommen sollte. Berlin ist kein Pflichttermin, vielmehr fahren Einkäufer aus Pflichtbewusstsein dorthin. Der eigentlichen Aufgabe, echte Innovationen und Inspiration auf einem Topniveau zu bieten, wird Berlin nicht gerecht.“
Haben die Messen die Zeit verschlafen?
„Das Messeformat der 1980er- und 1990er-Jahre hat sich überlebt. Das ist kein alleiniges Problem der Modebranche, sondern ein globales. Egal ob Sie auf die IAA in Frankfurt, die CeBIT oder die Detroit Motor Show schauen, Sie werden überall fundamentale Herausforderungen sehen. Das Format befindet sich in einer Sinnkrise. Heute erfüllen ganz andere Kanäle die originären Aufgaben von Messen. Die großen Player stehen das ganze Jahr über im Austausch mit ihren Händlern über die Ware und über das operative Geschäft. Generell müssen die Konzepte überdacht und mit neuen Inhalten gefüllt werden. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Messen müssen völlig neu gedacht werden: inhaltlich, konzeptionell und auch in der Ansprache.“
Hat die Mode dennoch mit branchenspezifischen Problemen zu kämpfen?
„Die Messen sind das kleinste Problem der Branche, weit folgenreicher ist die anhaltend sinkende Wertschätzung von Markenbekleidung beim Verbraucher. Darum muss sich die Industrie in erster Linie kümmern. Abseits davon muss man sich ernsthaft fragen, weshalb ein Einkäufer nach Berlin kommen sollte, wenn 90 Prozent der wirklich wichtigen globalen Player schlicht fehlen. Die Situation lässt sich mit einer IAA vergleichen, bei der Mercedes und Volkswagen auf eine Teilnahme verzichten.“
Wie viel Event benötigt eine Messe, wie viel muss Arbeitsmesse bleiben? Viele monieren die langen Wege in Berlin und trauern einem zentralen Standort nach.
„Eine Menge. Nehmen Sie zum Beispiel die ComplexCon in Los Angeles. Die Veranstaltung hat es geschafft, dass die Menschen zu Tausenden dorthin pilgern, ein Ticket erwerben, um dort dann Kleidung einzukaufen. Rational betrachtet, bringt es ihnen keinen Mehrwert außer dem exklusiven Erlebnis eines schwer angesagten Fashionfestivals. Und darum geht es: Veranstaltungen mit Inhalten, Erlebnissen aufzuladen, die der Besucher nur dort zu diesem Zeitpunkt bekommen kann, völlig unabhängig davon, ob es Richtung B2B oder B2C geht.“
Was ist mit den Endkunden? Bei Autos und CE schon gesetzt, scheut die Mode das Thema wie der Teufel das Weihwasser.
„Karl-Heinz Müller hat mit seiner Bread & Butter bewiesen, dass es immer noch möglich ist, aus dem Nichts Veranstaltungen zu kreieren, die aufgrund ihrer Besonderheit zum Magneten werden. Noch heute wird die ‚B&B alt‘ in Berlin schmerzlich vermisst. Er hat Visionäres geleistet und ich kann bis heute nicht verstehen, warum sich die Branche mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, Endverbraucher zuzulassen. Denn das ist für Plattformen der einzige Weg in die Zukunft: eine Community zu schaffen, die die Kommunikation der Markenwelt in ihrer Gänze umspannt.“
Die Bread & Butter von zalando hat drei Ausgaben überlebt, dann war Schluss. War die Messe falsch organisiert oder hatte sie den falschen Ansatz?
„Weder … noch! Die Bread & Butter von zalando war genau richtig. Ich weiß nicht, weshalb die Verantwortlichen die Messe aufgegeben haben. Aber als Format und Fashionfestival war die Bread & Butter absolut auf der Höhe der Zeit.“
Helfen begleitende Kongresse oder wird da anderes Publikum angesprochen?
„Kongresse auf einem Topniveau können die richtige Antwort sein, natürlich. Allerdings funktioniert das nicht, wenn die Monetarisierung im Vordergrund steht und sich ein Berater an den nächsten reiht, Agenturen über ihren letzten Pitch fabulieren und das Publikum mit Best-Practice-Beispielen traktiert wird. Die wenigsten aus dem Auditorium wissen doch, dass für die Vorträge bezahlt wird.“
Raten Sie Marken derzeit von einer Präsenz in Berlin ab?
„Ich will mir nicht erlauben, eine Teilnahme in Berlin für ein Unternehmen oder eine Marke zu bewerten. Das muss immer im Einzelfall betrachtet werden. Ich persönlich sehe die Zukunft in mächtigen Sell-in-Events, wie sie beispielsweise von adidas oder NIKE erfolgreich realisiert werden und die ganz unterschiedliche Ausprägungen haben können, da sie zeitlich, räumlich und formatunabhängig sind. Dabei werden dann punktuell klar zugeschnittene und richtige Botschaften emotional aufgeladen und an die Community vermittelt.“
Braucht Berlin eine internationale Allianz?
„Es besteht kein Zweifel daran, dass die Zukunft in der Kollaboration liegt. Wer in dieser Branche überleben will, braucht Verbündete, gerade auf internationalem Niveau.“
Dr. Marc Schumacher ist Marketing- und Einzelhandelsexperte. Als geschäftsführender Gesellschafter von LIGANOVA konzentriert er sich darauf, nachhaltige und strategische Marketingkonzepte für Marken in allen Branchen zu entwickeln. Außerdem ist er Gastdozent für Marketingmanagement an der HHL Leipzig Graduate School of Management, an der er auch promoviert hatte. Dr. Schumacher startete seine Karriere im Modeeinzelhandel bei HUGO BOSS und breuninger. Später arbeitete er als Chief Retail Officer im Vorstand der TOM TAILOR Group.
LIGANOVA, The BrandRetail Company, ist ein Spezialist für Markenkommunikation. Zur LIGANOVA Gruppe mit 350 Mitarbeitern an den Standorten in Stuttgart, Berlin, Amsterdam und San Francisco gehören auch die Firmen LIGAPRODUCTION, LIGA:DIGITAL und LIGA2037.