Autorin: Cordelia Albert
„Der Erlebnisfaktor und die persönliche Beratung sind immer noch Alleinstellungsmerkmale des stationären Handels“, sagt Sven Seidel, Vorstand Multichannel-Retail der otto group. Doch er fügt sofort hinzu, wie wichtig inzwischen andere Dinge seien: „Um in Zukunft erfolgreich zu sein, ist es jedoch zwingend, die Chancen der Digitalisierung auch im Offline Retail zu nutzen.“ Diese Aussage machte der Fachmann anlässlich der Vorstellung des ersten Pilot-Stores „fashion connect“ von bonprix, der die Vorteile des stationären Handels mit denen des Online Shoppings kombiniert. (Den Artikel lesen Sie hier)
Denkt man über diese Aussage nach, kommt man schnell zu dem Schluss, dass sie noch sehr vorsichtig ausgedrückt ist. Denn heute ist inzwischen weder der Erlebnisfaktor noch die persönliche Beratung ein Alleinstellungsmerkmal des stationären Handels. Und es ist auch nicht gesagt, dass man beides überhaupt noch in einem Geschäft findet. Preisdruck und Online-Konkurrenz lassen manchen Inhaber lieber weniger und vorsichtiger Ware ordern, was eine reduzierte, erlebnisarme Auswahl nach sich zieht. Und wie oft trifft man auf die Aushilfe, die nicht willens oder in der Lage ist, persönlich und qualifiziert zu beraten? Dagegen haben sich die digitalen Einkaufsplattformen längst vom puren Online-Katalog, in dem es reine Produktabbildungen mit Preisangabe und Warenkorb gibt, entfernt. In der digitalen Shoppingwelt kann man auf inszenierte Stilwelten treffen, virtuelle Berater stehen zur Verfügung und Experten geben in hinterlegten Beiträgen ihre Tipps. Du weißt nicht, welcher Schuh oder welche Krawatte zu deinem neuen Anzug passt? Kein Problem, es wird gleich angezeigt, was gut zu kombinieren ist. Auch eine komplette Beratung im Netz, in dem Fachleute individuell auf die Wünsche abgestimmte Gesamtoutfits zusammenstellen, wird längst angeboten.
Die otto group geht nun also so weit, die Vorteile beider Vertriebsformen miteinander zu kombinieren – Online und Stationär sollen eins werden. Für den bonprix-Laden in Berlin wird viel weiter gedacht, als dass man nur seine Ware online auf Verfügbarkeit im Store prüfen oder Bestellungen abholen beziehungsweise zurückgeben kann. Die App als digitaler Shopping-Assistent führt durch das Geschäft, organisiert die Abläufe. Ob das Konzept vom Kunden angenommen wird, wird sich zeigen. Auf alle Fälle ist es innovativ und zukunftsweisend und man muss es im Blick haben, denn durch die technischen Möglichkeiten wird sich der Einkaufsablauf immer mehr digitalisieren. Das ist eine Chance. Der traurige Aspekt dabei ist aber, dass kleinere Händler, wenn sie nicht Unterstützung von Herstellern und Verbänden bekommen, bei dieser Entwicklung gar nicht mithalten können, da es immer auch eine Frage von enormen Kosten ist.