Während in den zurückliegenden Wochen eine Gewinnwarnung nach der anderen herausgegeben wird, machen andere Manager mit ehrgeizigen Plänen von sich reden, die im Grunde kaschieren sollen, dass harte Zeiten bevorstehen – für das eigene Unternehmen, für die ganze Branche. Auch die schnellen Geschäftsführerwechsel der jüngeren Vergangenheit sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein schwieriges Jahr zu Ende geht. Wieder mal haben sich die Hoffnungen auf einen versöhnlichen Endspurt nicht erfüllt. Das Wetter mag sicher eine wichtige Rolle im Abverkauf spielen, wohl kaum aber die Bedeutung haben, die ihm inzwischen beigemessen wird, zumindest öffentlich. Der Markt ist gesättigt: zu viel Ware, zu viele Anbieter, zu viele Flächen, zu viel Einerlei. Dass die Online-Konkurrenz dem stationären Handel Marktanteile abluchst, stimmt nur noch bedingt. Auch die Umsätze von zalando und Co wachsen nicht mehr in den Himmel. Überdies steht die Mode im Wettbewerb mit anderen Verführungen der Konsumwelt wie Reisen, Ausgehen, Sport. Auch dürften die Niedrigzinsen die Lust auf langlebige Konsumgüter befeuern. Mode gehört nicht dazu.
Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft und sie tut es rasch, viel rascher als gedacht. Aber die Wirkungsmechanismen des Marktes und von Marken werden damit nicht außer Kraft gesetzt. Sie entfalten eben ihre Kraft mit höherer Geschwindigkeit. So kommen neue Erklärungsmuster auf, anhand derer Zielgruppen nicht nur ausfindig gemacht werden sollen, sondern überhaupt erst einmal definiert werden. Den Lebensstil als Schablone anzulegen, ist sicher ein hilfreicher Gedanke. ETERNA-Chef Henning Gerbaulet sagt im FT-Interview, Marken könnten vom Markt verschwinden, dann aber habe das konkrete Gründe. Marken tragen keinen natürlichen Sterbemechanismus in sich. Der Passauer Hemdenspezialist ist ein Beweis dafür, dass bewegte Zeiten Chancen sind. Die will auch hajo POLO & SPORTSWEAR nutzen. Mit der Strickmarke Tom Ripley will Firmenchef Wolfgang Müller eine Nische besetzen, in der er Wachstumsräume ausgemacht hat. Italo-Charme und amerikanisches Lebensgefühl. Das Skandi-Label mit den typischen Superstretch-Anzügen, BERTONI, hat auf dem deutschen Markt seinen Platz gefunden und will nun auch mit der Gründung einer deutschen Vertriebsgesellschaft mit Mike Alsdorf strategisch wachsen. Die Chancen dafür stehen gut. Zuversicht ist besser als Hoffnung, denn sie hat einen aktiven Part. Wer hofft, wartet nur.
Tradition bedeutet ja nicht gleich Stillstand. Auch wenn in Northeim Dr. Karl-Wilhelm Vordemfelde von Bord geht, der Mann, der WILVORST zum Marktführer für Anlassmode gemacht hat, wird der Kurs gehalten, wie die beiden Geschäftsführer im FT-Interview betonen. Der zweistufige Handel bleibt das vertriebspolitische Fundament, gerade auch der stationäre Handel. Eine durchaus gesunde Grundhaltung. Es kommen international wie national immer wieder neue, vielversprechende Concept Stores auf, um den Beweis anzutreten, dass bei all dem rasanten digitalen Wandel das gute alte Ladengeschäft vom Verbraucher gerne angesteuert wird. Läden, die ihre Marken tatsächlich kuratieren und neue Warenwelten erschaffen – für Kunden, die Inspiration suchen. Gern wird vom digitalen Schaufenster gesprochen, warum Händler auf die Präsenz im Internet nicht verzichten können. Das mag ja stimmen. Aber sie sollten das echte Schaufenster darüber nicht vergessen. So gesehen, gibt es doch auch viele gute Gründe, mit Zuversicht in die kommende Order zu gehen, oder nicht?
Ihr
Markus Oess