Autorin: Nina Peter
Wege aus dem Imageverlust? Einstige Lifestyle-Marken wie ESPRIT und TOM TAILOR versuchen seit Jahren, an vergangene Erfolge anzuknüpfen.
„Die Modebranche ist blockiert. Es bleibt kaum Zeit zum Nachdenken, es wird immer weiter produziert und ausgeliefert. Das Ergebnis: Alte Modelle werden ständig als ‚neue Mode‘ angepriesen […], aber im Wesentlichen hat sich nichts verändert. Wir laufen ohne jede Innovation im Kreis herum.“ So beschrieb die Trendforscherin Lidewij Edelkoort gegenüber FashionUnited Ende November die aktuelle Situation des Modemarktes. Von diesem Verhalten sind und waren zuletzt vielleicht gerade die Marken geprägt, die sich im mittelmodischen Segment bewegen. Es ist unmöglich, ZARA, H&M und Co preislich und modisch Konkurrenz zu machen, und oben sitzen die Premiummarken fest im Sattel, deren Kunden bereit sind, mehr Geld auszugeben. Vor allem Marken wie ESPRIT und TOM TAILOR befinden sich nun schon seit Jahren in der Krise. „Wir waren ungefähr fünf Jahre lang verloren; in Bezug auf das Produkt hatten wir keine eindeutige Identität“, äußerte sich der Anfang 2017 noch als General Manager bei ESPRIT tätige Dieter Messner gegenüber FashionUnited. Zahlreiche Personalwechsel auf unterschiedlichen Ebenen scheinen dieses Problem auch nicht zu lösen, denn der INDITEX-Hoffnungsträger José Martínez Gutiérrez wurde im Juni dieses Jahres als Konzernchef von dem Dänen Anders Kristiansen abgelöst, der weiterhin eine klare Markenidentität bemängelt. Ähnliche, ebenfalls die Identität betreffende Töne ließ in Hamburg auch TOM TAILORs Digitalchef Maik Kleinschmidt letztes Jahr gegenüber dem Handelsblatt verlauten: „Wir haben ein tolles Produkt, die Marke steht aber emotional für zu wenig.“
Design aus der Marketing-Abteilung
Vielleicht sind jedoch nicht nur die Emotionen in Bezug auf die Marke das Problem, sondern auch das Produkt, das lange Zeit nicht mehr mit Emotionen und einem Augenmerk auf das Design gestaltet wurde. Zu viele unterschiedliche Läden mit unterschiedlichen modischen Aussagen und Sortimenten, zu viele Linien und zu viele Produkte, die keine deutliche Handschrift schreiben. Dass man für den Preis wie früher heute nicht mehr die gleiche Qualität erhält, ist eine Sache. Aber das Design betreffend, trifft Li Edelkoort den Nagel auf den Kopf, denn Design heißt nicht, Bestseller mit anderen Knöpfen und Farben bestückt alle paar Monate wieder als neu in den Laden zu hängen. Das mag inzwischen vielleicht sogar gar nicht mehr der Fall sein, aber man hat es zu lange betrieben, sich darauf ausgeruht und die Zeit des Wandels verschlafen und leider auch einen Teil seines Images verloren. Esprit will nun gegensteuern. „Initiativen im Produktbereich umfassen das Angebot eines kommerzielleren Sortiments mit einem stärkeren Basic- und Kernsortiment, einer reduzierten Anzahl an Optionen und angepassten Farbanteilen. Außerdem entwickeln wir für Esprit charakteristische Produktkategorien wie Hosen, T-Shirts und Pullover. Vorrangig konzentrieren wir uns darauf, unsere Qualität und Passformen zu verbessern. Es muss um Qualität gehen, und das immer”, sagt Ivana Aurich, Global Category Manager Men, gegenüber FT.
Inzwischen haben andere Marken sich mit gutem Design freie Plätze erkämpft. Nun wird versucht, das Ruder mit aller Kraft und viel Druck in eine andere Richtung zu reißen, die nicht mehr der Bedeutungslosigkeit der letzten Jahre gleichkommt – nur, in welche? Bei Esprit ist nach den ernüchternden Geschäftszahlen der zurückliegenden Jahre, die Erkenntnis heran gereift, dass die Marke in die Jahre gekommen ist. „Wir arbeiten an einer einzigartigen Identität, mit der wir Esprit wieder zu einer Kultmarke machen wollen. Wir möchten Begeisterung wecken und unseren Kunden Freude bereiten. Unsere Aufgabe im Produktbereich besteht jetzt darin, diese Markenidentität in eine einzigartige Esprit Handschrift zu übersetzen. Dazu gehört, dass wir tief in unsere DNA eintauchen, um herauszufinden, was Esprit zu Esprit gemacht hat. Und welche Designs, Formen, Stoffe und Farben wir benötigen, um sofort erkennbar zu sein“, hofft Aurich.
Retro-Nostalgie und Guerilla-Marketing
TOM TAILOR setzt weiterhin auf Positivismus und trägt diesen wie bisher mit seiner „SAY YES“-Marketingkampagne in die Welt, zu der ebenfalls mutige Guerilla-Aktionen gehören. Zu Imagezwecken, zur Stärkung der DOB und um den Bekanntheitsgrad zu steigern, ist (nach Naomi Campbell und Revolverheld) jetzt Model Toni Garrn mit an Bord, die nicht nur ein Hamburger Weltstar ist, sondern selbst auch einen Kindheitsbezug zur Marke hat.
Bei ESPRIT wurde es ebenfalls mit Kooperation versucht. Die Retro-Verbindung mit dem High-Fashion-Label OPENING CEREMONY wurde allerdings im zurückliegenden Winter beendet. Die Kollektion knüpfte an die Jahre an, in denen ESPRIT noch eine gefeierte Lifestyle-Marke war, und die momentan auf globaler Ebene ein stilistisches Revival erfahren – die 1980er und 1990er. Dem Logo-Designer John Casado, dem wir den einst erfrischend farbenfrohen Schriftzug der Marke zu verdanken haben, imponierte die Marke in ihren Anfängen Ende der 1960er-Jahre aufgrund ihrer „furchtlosen Haltung“. Kreativ in ihren Kampagnen, einheitlich und wiedererkennbar in einer authentischen, jungen, farbigen und lebendigen Sprache, energetisch in ihrem Ausdruck und durchaus mit einer starken Haltung zu gesellschaftlichen Themen, wie bereits früh schon dem aktuell sehr relevanten Thema Nachhaltigkeit und Diversität. Mit Hashtag-Kampagnen wie #ImPerfect und #ImEsprit sollte bei ESPRIT an genau diese erfolgreichen Markenauftritte der Gründerjahre angeknüpft werden.
Wege aus der Identitätskrise? Das bleibt fraglich. Denn nach Kleidungsstücken mit Seele sehnen wir uns nach den weiteren Aussagen von Li Edelkoort – nicht nach Marketing mit Seele.