Autor: Markus Oess
Weil die Menschen die Welt nicht verstanden, haben sie Götter erfunden. Und weil man keine zu Gesicht bekam, verpflanzte man die in die Berge. Dorthin, wo die Menschen lange keinen Fuß hinzusetzen vermochten. Als sie dann endlich nachsehen konnten und keine fanden, setzten sie die Götter in den Himmel. Auch da hat man bislang keine gefunden. Überzogen? Mag sein. Aber wer an überkommenen Erklärungsmustern festhält, geht die Gefahr ein zu scheitern. Das gilt auch für die Trendforschung und den Versuch, den gesellschaftlichen Wandel zu begreifen. Ein Erklärungsversuch.
„Wenn Marktforscher etwas herausfinden wollen, fragen sie jemand. Wen sollen sie fragen, wenn es um die Zukunft geht? Die Konsumenten? Sie sind hier leider keine große Hilfe, denn ihre Vorstellung ist von dem geprägt, was sie kennen. Kreative Ideen und Produktinnovationen kommen nicht aus Verbraucherbefragungen – bestenfalls kann man versuchen, mit speziellen Workshop-Techniken ein bisschen etwas aus dem kreativeren Segment der Kundschaft herauszukitzeln“, schreibt Dirk Engel in seinem Aufsatz „An den Grenzen der Marktforschung“. Er beschäftigt sich darin mit der Frage, wie das Zusammenspiel von Forschung und Kunst helfen kann, besser über die Zukunft nachzudenken.
Sozialforschung sollte immer auch helfen, den Wandel zu verstehen. Und dafür gab es mit der Zeit immer neue Methoden. In den 1960er- und 1970er-Jahren war die „Futurologie“ in Mode, dann kam in den 1980er- und 1990er-Jahren die Trendforschung, um die „flüchtige Welt der Moden und Trends“ gedanklich einzufangen. Nicht zu vergessen sind die Prognosen der „Number Crunchers“ und „Data Scientists“, die versuchten, mit Formeln die Qualität des nächsten Rotweinjahrgangs oder den Erfolg eines Teams in der Baseball-Liga vorherzusagen. Engel gesteht zu, dass die Methoden der Trendforscher in den Angebotskatalog seriöser Marktforschungsinstitute aufgenommen wurden. Sie alle hätten aber das Problem, mehr die Gegenwart oder die Vergangenheit als die Zukunft zu erklären. Selbst die Big-Data-Welt, die immer besser arbeitet, kann auch nur die Gegenwart besser erfassen und fortschreiben. „Durch den Realtime-Rummel verlieren wir die Zukunft aus dem Blick. Das bedeutsame Signal im Datenrauschen zu finden, ist eine große intellektuelle Herausforderung. Gemäß dem Ausspruch des Science-Fiction-Autors William Gibson ist die Zukunft jetzt schon vorhanden, sie ist nur ungleich verteilt“, schlussfolgert Engel.
Irgendwann macht Engel nach weiteren Ausflügen durch die heutige Trendforschung eine Kehre: „Ich möchte jedem empfehlen, sie auszuprobieren, Sie werden besser für die Zukunft gerüstet sein und Ihre Strategien genauer auf den Wandel ausrichten. Nur denke ich, man muss ab und zu noch einen Schritt weitergehen, eins draufsetzen. Und hier überschreiten wir die Grenze zum Unseriösen. Seriös wäre es zu sagen: Wir wissen nichts über die Zukunft und worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Unseriös ist es, die vornehme Zurückhaltung aufzugeben: spekulieren, spinnen, spielen. Mit Gedanken, mit Worten, mit Bleistiften, Klebstoff, Lötkolben oder was auch immer.“ Artistic Research arbeite an der Schnittstelle zwischen künstlerischer Praxis, Theater- und Medienwissenschaft, Pädagogik, Kultur- und Sozialwissenschaften.
Ein Vertreter dieser großen bekannten Trendforscher ist das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt und Wien. Diesmal soll es aber nicht nur um die Fortschreibung der Zukunft gehen, sondern darum, die Gesellschaft in ihrem Wandel überhaupt erst einmal zu verstehen. Sie in Grundmuster einzuteilen, anhand derer sich überhaupt so etwas wie Zielgruppen definieren lassen. Die Studie des Zukunftsinstituts („Lebensstile: Kunden verstehen. Märkte erobern!“) teilt die deutsche Gesellschaft datengestützt und trendbasiert in 18 Lebensstile ein. So wollen die Trendforscher aufzeigen, wie die Deutschen heute leben und was ihnen morgen wichtig sein wird. Der gesellschaftliche Wandel, der die rein datenbasierte Analyse der Gesellschaft erschwert, wird zum zentralen Element definiert. Über 30.000 Datensätze der „Best for planning“-Befragung stützen die Gesellschaftsanalyse des Zukunftsinstituts. „Unsere Lebensstil-Typologie basiert auf den wichtigsten Trends unserer Zeit – und ist damit prognostisch“, sagt Studienleiterin Verena Muntschick. Trends wirken in der Gegenwart und prägen die Gesellschaft der Zukunft mit. Trends können zum Mainstream werden. Jeder der 18 Lebensstile stehe repräsentativ als strukturelle Kategorie für bestimmte Werte, Einstellungen, Eigenschaften und Handlungsmuster, die sich in der Gesellschaft manifestiert haben.
Stilwelten Auswahl I
„Der Big-Data-Ansatz, der eine Vermessung und Verortung der Menschen bis ins letzte Detail verspricht, führt nicht wirklich näher an die Menschen heran: Er fragmentiert und verstellt uns die Sicht auf ein ganzheitliches Bild“, sagt Muntschick. Problematisch werde es für Unternehmen, wenn sie an der Menge ihrer Kundendaten zu ersticken drohen, weil Zusammenhänge und die hinter Kaufentscheidungen liegenden Motive der Menschen kaum noch zu erkennen sind. „Wir liefern zu jedem Lebensstil eine Einschätzung, warum wir diesen für wichtig und beachtenswert halten, wie man die Menschen aus den unterschiedlichen Lebensstilgruppen am besten erreicht und welche Grundbedürfnisse es anzusprechen gilt“, ergänzt Co-Autor Philipp Hofstätter. Mit dem Relations Mapping, das das Zukunftsinstitut entwickelt hat, sei es möglich zu verstehen, zu welchen Gruppen sie bereits in Beziehung stehen und zu welchen sie leicht eine Beziehung aufbauen könnten.