Autor: Markus Oess
Ab 1. Januar 2019 stehen Andreas Wolf und Stefan Kohlmann allein auf der Kommandobrücke des Northeimer Anlassmode-Spezialisten WILVORST. Zeit, mit den neu berufenen Geschäftsführern über den künftigen Kurs zu sprechen. Während vielerorts dunkle Wolken aufziehen und Land unter droht, schippert das Führungsduo WILVORST gemütlich zur Insel der Glückseligen. Oder nicht? Wolf und Kohlmann geben Antwort.
FT: Herr Wolf, feiert Mann noch klassisch?
Andreas Wolf: „Ja, absolut. Es gibt eine große Anzahl von Festen, die sich an klassischen und alten Werten orientieren. Darüber hinaus erleben wir gerade die verschiedensten Ausrichtungen von Hochzeitsfeiern. Diese ‚eine‘ Hochzeit, wie sie noch vor Jahren stattgefunden hat, gibt es in dieser Form nicht mehr. Hier unterscheiden wir nach sogenannten ‚Motto-Hochzeiten‘, das heißt, Hochzeiten finden heutzutage in prunkvollen Sälen statt, im Gartenambiente, am Strand, an schönen Urlaubsorten. Dementsprechend müssen wir für die unterschiedlichsten Motto-Themen auch Kollektionen bereitstellen.“
Sitzt die Anlassmode da nicht auch auf der Insel der Glückseligen, wenn ich mir die Beliebtheit der Hochzeitsshows ansehe?
Wolf: „Auf die Idee könnte man schon kommen. Das erkennt auch der Handel. Wir bekommen heute Anfragen, die noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen wären. Die Zahl der Eheschließungen liegt auf einem stabilen Niveau und speziell beim Heiraten schauen die Leute nicht aufs Geld.“
Stefan Kohlmann: „Und wir sind damit nicht vom Wetter abhängig. Mir jedenfalls ist keine Hochzeit bekannt, die wegen schlechten Wetters abgesagt wurde. Geheiratet wird immer. Das sorgt schon für eine gewisse Planungssicherheit.“
Spüren Sie den Trend zur Casualisierung überhaupt?
Wolf: „Wir haben ja nicht ohne Grund Themen wie Green Wedding aufgenommen. Gerade bei den jungen Leuten ist die Nachhaltigkeit ein Thema, ebenso wie die Abkehr von formalen Vorgaben. Unterm Strich bleibt aber Anlassmode unser Schwerpunkt. Themen wie Green Wedding dienen nur zur Abrundung unseres Angebotes.“
Und was hören Sie vom Markt?
Wolf: „Ökologie und Nachhaltigkeit haben bei jungen Leuten einen anderen Stellenwert. Die Resonanz und das Interesse für Green Wedding auf den Hochzeitsmessen jedenfalls waren groß, die ersten Nachbestellungen erreichen uns schon.“
Wie sieht es bei atelier toríno aus?
Wolf: „Bei atelier toríno punkten wir zurzeit mit anderen Themen. Hier haben GALA, also die semifestliche Linie, und Vintage Wedding in der zurückliegenden Order für ein zweistelliges Plus gesorgt. Der Markt nimmt uns auch für atelier toríno die Kompetenz für Anlassmode voll ab.“
Kommen Sie mit der Positionierung hin, auch halbfestliche Mode anzubieten und junge Käufer anzusprechen? atelier toríno positioniert sich ja oberhalb von Création Gross oder DIGEL.
Wolf: „Wir hinterfragen die Positionierung unserer Marken fortlaufend und reflektieren das Marktgeschehen. So, wie sich atelier toríno jetzt präsentiert, haben wir gute Karten gegenüber dem Wettbewerb, denn abseits unserer modischen Kompetenz ‚Anlassmode‘ können wir auch unsere systemischen Stärken voll ausspielen. Wir können sehr schnell auf Marktveränderungen reagieren. Wir sind in der Lage, auf Wunsch Einzelbestellungen innerhalb von wenigen Tagen hier in Northeim zu produzieren. Wir arbeiten mit sehr kurzen Entscheidungswegen und einer flachen Hierarchie. Der beste Marktforscher ist der Kunde selbst und wir stehen über unseren Außen- und Innendienst im ständigen Austausch mit ihm. So kommt unser Verkaufsinnendienst auf rund 10.000 Kundentelefonate im Monat. Das liefert eine Menge Input. Und wir hören genau hin. Viele unserer Mitarbeiter sind jahrelang dabei und haben sich das Vertrauen im Markt erarbeitet. Somit hat unser Verkaufsinnendienst eine sehr hohe Verkaufskompetenz. Die Informationen werden entsprechend gebündelt und ausgewertet und fließen in die Kollektionsinhalte mit ein.“
Herr Wolf, Sie sind seit 25 Jahren im Unternehmen. Was bedeutet für Sie das Wort Veränderung?
Wolf: „In Bezug auf WILVORST bedeutet es, unsere Erfolgsmerkmale ständig zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Veränderung in dem Sinn heißt für mich Fortschritt.“
Herr Kohlmann, was bedeutet für Sie Kontinuität?
Kohlmann: „Bezogen auf WILVORST bedeutet es für mich, dass wir die Erfolgsfaktoren wie Qualität, Zuverlässigkeit und Service kontinuierlich weiter ausbauen. Gleichzeitig aber auch permanent Markt und Kunden im Blick behalten und schnell und flexibel mit zielgerichteten Maßnahmen auf Veränderungen reagieren.“
Wo sehen Sie Punkte für leichte bis mittlere Kursänderungen?
Wolf: „Für Korrekturen sehen wir keinen Grund. Wir haben mit Green Wedding, unserer neuen DOB-Linie TZIACCO ROMANCE sowie atelier toríno Vintage und GALA neue, vielversprechende Themen auf den Weg gebracht. Nun müssen wir das Vertrauen, das uns entgegengebracht wurde, rechtfertigen und liefern. Allein mit TZIACCO ROMANCE haben wir aus dem Stand heraus 78 Fachhandelskunden gewonnen. Wenn wir auf alle Kollektionen schauen, also auch After Six, Prestige, TZIACCO oder CORPUS LINE, haben alle Marken und Linien viel Wachstumspotenzial, vor allem im Export.“
WILVORST gilt bei aller Traditionsverbundenheit auch als Unternehmen, das dem digitalen Wandel offen gegenübersteht. Wie haben sich die erhofften Effekte eingestellt?
Kohlmann: „Wir verzichten ganz bewusst auf einen eigenen Online-Shop und setzen auf unsere erfolgreiche Vertriebsstrategie. Hier haben wir ein enges Netzwerk mit unserem Vertriebsteam zu unseren Fachhandelspartnern durch die langjährige Partnerschaft aufgebaut. Wir nutzen unseren Internetauftritt und unsere Social-Media-Aktivitäten für die Kommunikation mit unserem Endkunden und zum weiteren Ausbau der Markenprofilierung. Gerade im Bereich der Social-Media-Aktivitäten stellen wir einen wachsenden Bedarf an Beratung und Schulung durch unsere Kunden fest, den wir beispielsweise mit verschiedenen Workshop-Themen überaus erfolgreich bedienen. Hier sehen wir auch zukünftig noch Potenziale, um gemeinsam mit unseren Kunden zu wachsen.
Wie wirkt sich das auf die Logistik aus, wenn auf einmal kleinere und Kleinstmengen abgerufen werden – ist das mehr geworden?
Kohlmann: „Die WILVORST-Logistik und -Produktion ist aufgrund der Möglichkeit der Einzelbestellungen schon immer geübt, auch im Handling von kleinen Versandeinheiten. Aber natürlich drückt auch hier die Digitalisierung aufs Tempo und beschleunigt auch bei uns die Prozesse.“
Wolf: „Der Trend zur Individualisierung wird allerdings weiter zunehmen und darauf sind wir vorbereitet. Schon heute können wir individuelle Einzelbestellungen binnen zwei bis drei Wochen produzieren und per Express ausliefern.“
Wie viele Händler nutzen die digitale Order? Vor einem Jahr waren es um die 10 Prozent.
Kohlmann: „Im Augenblick kommen wir auf etwa 10 Prozent. Zugegebenermaßen hatten wir uns eine höhere Resonanz erwartet. Aber hier haben wir keinen Druck.“
Wolf: „Ganz abseits von allen Einsparungen bin ich ganz froh, dass wir noch viel übers Telefon verkaufen. So bleiben wir im Dialog und können auch Zusatzverkäufe auslösen. Anders hätten wir einen Informationsverlust und würden zum Beispiel nicht erfahren, warum eine Order nicht ausgelöst wurde, hätten also auch keine Chance, darauf zu reagieren.“
Kohlmann: „Die Branche ist weniger digital, als sie immer tut. Das wird sich aber mit der nachkommenden Generation ändern, wenn sie in die Verantwortung kommt.“
Sind weitere Schritte in der Supply Chain geplant, um näher am Bedarf zu arbeiten?
Wolf: „Wir nehmen schon heute modische Themen in unser NOS auf und produzieren einen Bestseller der aktuellen Kollektion auf Lager. Wir nennen das Hotline-Programm. Wir haben auch mit New Colours ein weiteres neues Thema besetzt, mit dem wir den Soft Smoking in den Farben Blau, Grün, Rot und Grün neu interpretieren mit Preislagen zwischen 449 und 479 Euro für Männer. Im Augenblick sind wir da gut aufgestellt. Wir denken die Ware auch von der Fläche her und haben das Gesamtbild im Blick. Wir übertragen die DNA der Marke auf alle Elemente auf der Fläche, von der Ware bis hin zu ihrer Präsentation.“
Bleiben wir noch kurz beim Warenthema; der Handel klagt über das Wetter und die schlechte Saison. Wie viel kann ein Wechsel auf NOS-Ware überhaupt ausgleichen, wenn dabei die Mode auf der Strecke bleibt?
Wolf: „Wir müssen die Balance halten. Mindestens die Hälfte unseres Angebotes muss über die Order laufen. Die modischen Themen über Hotline zu spielen, reicht einfach nicht aus. Das Lager ist dazu da, den Händlern eine gewisse Sicherheit zu geben und auch ein, zwei Sahnestücke. Aber die Marke lebt vom Ordergeschäft und vom Depotgeschäft, wenn wir die Flächen bestücken. Im Augenblick haben wir um die 120 Depotkunden in Europa. Hierauf werden wir aufbauen.“
Wird die DOB ausgebaut?
Wolf: „Der Anfangserfolg zeigt, dass da noch eine Menge mehr geht. Der Handel sucht nach neuen Angeboten. Wir werden das Programm erweitern, uns aber auf den Blazer und den Anzug konzentrieren. Es wird auch einen Damen-Smoking geben.“
Was macht die nachhaltige Linie, die Sie auf den Markt gebracht haben, wird es in dieser Richtung Erweiterungen geben? Green Wedding?
Wolf: „Wir nehmen Schuhe ins Programm. Auch Hemden und Accessoires werden erweitert. Inzwischen haben wir auch eine eigene Green-Wedding-Homepage. Die 250 Händler, die wir europaweit inzwischen gewonnen haben, dürfen auch etwas von uns erwarten.“
Mit welcher Erwartung gehen Sie in die anstehende Saison?
Wolf: „Wir gehen positiv gestimmt in die neue Saison. Über die Hochzeitsmessen haben wir einen direkten Gradmesser, wohin die Reise gehen wird. Uns ist das direkte Feedback der Verbraucher ungeheuer wichtig. Wir werden alles in allem mit einem Wachstum im unteren bis mittleren einstelligen Bereich aus der Saison gehen.“
Wo sehen Sie noch Platz für weiteres Wachstum? In Deutschland ist WILVORST ja bereits mit Abstand Marktführer.
Wolf: „Klar, den klassischen Wunschkunden gibt es nicht mehr. Wir wollen als Marktführer möglichst viele Produkte auf die Fläche bringen und wir sehen noch Potenzial bei Bestandskunden.“
Welche Pläne gibt es für atelier toríno?
Wolf: „atelier toríno wird inzwischen wieder vom Handel wahrgenommen. Händler halten Ausschau nach Marken, die nicht überall liegen, und mit WILVORST als Absender bieten wir eine Sicherheit; wir zeigen in den Bereichen Casual, New Suits und New Athletic viel Neues. Zudem bieten wir auch als Baukasten Half Canvas und nehmen Athleisure auf. Dazu kommen GALA und Vintage Wedding. Alles auf der PANORAMA Berlin im Januar zu sehen. Wir werden übrigens auch CORPUS LINE weiterentwickeln und haben neue Akzente für unser Made-to-Measure-Modell entwickelt.“
Am letzten Wochenende Bundesliga geschaut?
Kohlmann: „Klar.“
Wenn Sie klassische Musiker ausstatten, ist das nachvollziehbar. Aber warum ausgerechnet Bayer Leverkusen?
Wolf: „Fußball ist ein Riesenmarkt mit Millionen Zuschauern. Wenn sie die Gelegenheit haben, davon zu profitieren, sollten sie nicht daran vorbeigehen. Es sind mehrere Vereine auf uns zugekommen. Wir statten ja nicht nur die Mannschaft aus, sondern bekommen auch Bandenwerbung und sponsern den Gewinn der Kiss-Cam-Aktion, bei der ein Paar aus der Menge herausgesucht wird und bei einem Kuss eben gewinnt. Unglaublich, wie das bei den Zuschauern ankommt.“
Spüren Sie eine Veränderung in der Markenwahrnehmung?
Wolf: „Jetzt zu behaupten, wir würden in einem absolut neuen Licht erscheinen, wäre verwegen. Wir zahlen positiv auf die Marke ein. Das ist sicher.“
Altgedient und neu gewonnen
Andreas Wolf (Marketing, Vertrieb und Einkauf) und Stefan Kohlmann (allgemeine Verwaltung, Produktion, Finanzen und Personal) wurden zum Oktober 2018 zu Geschäftsführern von WILVORST ernannt, um das Ausscheiden von Dr. Karl-Wilhelm Vordemfelde vorzubereiten. Dr. Vordemfelde war seit dem 1. Januar 1983 alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Wolf ist seit mehr als 25 Jahren im Unternehmen und wurde kurz nach seinem Eintreten Verkaufsleiter Inland von WILVORST. Der 55-Jährige betreut seit vielen Jahren die Key Accounts in Deutschland und steuert die Inlandsvertreter sowie den Verkaufsinnendienst und das Verkaufslager. Kohlmann ist seit Jahren in der Bekleidungsbranche und im Handel tätig. Der 48-Jährige war zuletzt in der Geschäftsleitung der DressMaster GmbH, einer Tochtergesellschaft der Miro Radici AG, tätig. Zuvor stand er bei der Douglas Gruppe auf der Payroll.