Autor: Christoph Anders
Das Beste aller Welten oder: Das ist der Gipfel. Kaum haben die sauberen Swamp-Schwestern die Major-Asche abgeklopft, steigen sie phönixgleich in himmlische Höhen – denn seien wir mal ehrlich, so unter uns Larkin Poe-Liebhabern: Dieses 2018er-Wucht- und -Wurzelwerk ist das Gelungenste, Gehaltvollste, ja Genialste, das die Lovell-Schwestern in ihrem an großartigen Veröffentlichungen nicht armen Schaffen je hervorbrachten.
Anstatt nach dem Universal Drop in Schmerz und Selbstmitleid zu vergehen, oder – schlimmer noch – stilistische Kehrtwendungen zu unternehmen, gehen Megan und Rebecca ihren bereits mit „Kin“/„Reskinned“ eingeschlagenen Weg der finalen Symbiose ihrer wohlgewachsenen Roots-Welt mit verwirrend verlockenden Stil-Fremdkörpern weiter zu einem absolut eigenständigen, organischen Ganzen, das vor Musikalität, Energie, Können und Leidenschaft nur so brodelt. Bereits zu Beginn des Werkes mithilfe der ursprünglichen Kraft der von wuchtiger Stimme erfüllten, von Handclaps getriebenen, mit Keyboard-Macht zu Woodkid-Wucht und Weite getragenen, unwiderstehlich mitreißenden Version von Bessie Jones’ „Sometimes“ mitten ins fiebernd kochende Geschehen katapultiert, ist der Hörer, egal ob Larkin-Poe-Kenner oder nicht, unrettbar der Magie dieser musikalischen Melange verfallen, verliert die großartig arrangierte, perfekt auf den Punkt gebrachte Song-Kollektion auch bei dezent gedrosseltem Tempo nichts von ihrer omnipräsenten Energie. In der folgenden Emotions-Achterbahn geht es quer durch die Stil- und Stimmwelten; und auch wenn die Blues-Wurzeln das Groove- und Gefühlsgeschehen wie ein roter Faden durchziehen und bestimmen, mal zwischen den Zeilen, mal mitten zwischen den Augen, auch wenn die beseelte Saitenarbeit der Schwestern das Klangbild prägt, so ist „Venom & Faith“ so viel mehr als ein reines Roots-Album, ohne dabei jemals die wahren Wurzeln zu verleugnen.
Mit in diesem Alter überraschend reichem Erfahrungsschatz leben Larkin Poe die amerikanische Folk-Blues-Geschichte mit Haut und Haaren, Leib und Seele, mit Slide und Steel, Torch and Twang, bereichern aber die reine Kunst um allerhand großartig eingeflochtene Klangfremdkörper, die sich bereits beim ersten überraschten Erleben nahtlos in das Groove-Ganze einfügen und flirrende Field Recordings in fiebernd pumpenden Blues Dub verwandeln, Desert Country Drone mit heftigen Hip-Hop-Metal-Akkorden attackieren und saftigste Sumpfgänge mit unwiderstehlichem Groove unterlegen, wie man es sonst nur bei My Baby erlebt. Dazwischen bleibt immer noch Zeit für gepflegten, twanggetriebenen Country Rock, von schmutziger Slide geschliffenen Swamp Blues, pulsierende Ausflüge zum Mississippi und orgelgesegnetes Gospelgefühl, stimmlich wie instrumental begeisternd durch ein kongenial agierendes Geschwisterpaar, das mit dieser Großtat weiter an seiner Einzigartigkeit feilt.
Wünschte ich mir früher bei Larkin-Poe-Live-Auftritten das Abspielen alter Klassiker, so erträume ich mir jetzt das komplette neue Album in seiner Gänze – diese Musik ist nicht allein zum Hören gemacht, man muss sie atmen, inhalieren, ganz und gar in sich aufnehmen. Lebendiger, leidenschaftlicher kann man den Blues nicht in Lieder gießen.
Vorgängeralbum jetzt verfügbar
Zeitgleich mit dem aktuellen Album „Venom & Faith“ veröffentlicht der hiesige Vertrieb auch das Album, das es hierzulande sträflicherweise nicht zu kaufen gab: „Preach“. Das zumindest hierzulande lang und schmerzlich vermisste 2017er-Link zwischen „Kin“/“Reskinned“ und dem aktuellen 2018er-Werk schließt deftig, deutlich und definitiv die Lücke zwischen den ersten, zurückhaltenden Befreiungsschlägen aus dem zu eng gewordenen Country-Roots-Kleid und dem beherzten, ohrenöffnend aufgearbeiteten Blues-Bekenntnis von Venom & Faith. Noch erreicht diese großartig gelungene Mischung aus Larkin-Poe-Originalen und perfekt zu eigen gemachten Standards und Traditionals nicht die beeindruckende, genau richtig am Gipfelgrad der Perfektion reibende Genialität des aktuellen Albums, aber gerade darin steckt die wurzelnarbig-packende Qualität der Peach-Platte, die bei aller erkennbaren Lust am Spiel mit pressender Perkussion, übersteuerten Gitarren-Attacken und packenden Programmier-Fantasien nie die schmutzig-saftige Bodenhaftung verliert. Im kompletten Doppel-Alleingang wissen die kongenialen Schwestern die Zehn-Song-Kollektion mit fantasiesprühender Vielfalt zu füllen, die ganze saitenschillernde Palette vom fiebrigen Field Recording über schleppenden Chainggang-Chor, seelentiefen Gospel-Segen, dunkel dräuenden Desert Drone und sattesten Swamp-Blues bis hin zu pressend-peitschendem Roots Rock und hirnreinigendem Punk ausschöpfend und dabei ihre immer beeindruckender schillernden instrumentalen und stimmlichen Fähigkeiten einsetzend. Aber bei allen faszinierenden Vergleichsmöglichkeiten ist die nur bedingt kleinere, etwas rauere Schwester der 2018er-LP eine gelungene Großtat der Lovell-Sisters, die jetzt endlich mit Wucht und Recht dem Nichtlieferbarkeitsnirvana entrissen wurde. Nicht nur in der geliebten Larkin-Poe-Werksammlung ein unverzichtbares, ebenso echtes wie ehrliches Gut.
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Wahres aus Westfalen
Seit mehr als drei Jahrzehnten – ein im Independent-Musikwesen nahezu biblisches Alter – kümmert sich das Glitterhouse in Beverungen von Ostwestfalen aus um das Gute, Wahre und Bleibende in der unabhängigen Musik. Was einst als reines, echtes Fan-Werk begann, entwickelte sich bei gleichbleibender Faszination über die Jahre auf mehreren Gleisen (wobei neben Glitterhouse-Label und -Mailorder vor allem das Orange Blossom Special Festival sich innerhalb und außerhalb Deutschlands einen bemerkenswerten Ruf erspielen konnte) bis hin zur Auszeichnung „Bestes Label“ bei den VUT Indie Awards 2015. Nahezu ungebremst durch Ruhm oder Reichtum, ist man weiterhin auf der Suche nach musikalischem Neuland und berichtet an dieser Stelle von entdeckenswerten Entdeckungen.
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