Autor: Markus Oess
Wenn zwei Manager aus einem Unternehmen zu einem Thema Stellung beziehen, kommen dann uniforme Worthülsen heraus? Mitnichten. Wir haben es ausprobiert und mit Ralph Böhm, Geschäftsführer Création Gross als Sprecher für CARL GROSS, und Florian Wortmann, Division Head CG -CLUB of GENTS, über den Anzug diskutiert. Die zwei eint der gleiche Arbeitgeber und die Vorliebe für den Anzug. Was aber trennt sie und was sagen sie über die Zukunft beider Marken?
FT: Deutschland ist kein großes Modeland. Deswegen machen die Marken gerne Anleihen bei den Italienern oder Engländern . Kümmern wir uns also lieber um das Design unserer Autos, oder?
Florian Wortmann (FW): „ Marken lassen sich aus anderen Ländern gerne inspirieren, da stimme ich absolut zu – alles andere wäre mit der Ausrichtung von CG-CLUB of GENTS jetzt auch eine echte Farce. Dennoch gibt es für mich keine Korrelation, wonach wir aus einer internationalen Inspiration ein Modemuffelland Deutschland ableiten sollten. Gerade in den letzten Jahren finde ich uns viel aufgeschlossener und experimenteller als je zuvor. Der Erfolg im Handel unserer progressiven Subline SAVILE ROW by CG-CLUB of GENTS spricht für sich . Des Weiteren stoßen unsere Produkte kein CO2 aus – deswegen lieber Mode statt Autos.“
Ralph Böhm (RB): „Deutschland ist ein Autoland. Länder wie Italien und Frankreich werden in der Mode gern zitiert. Aber wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Da gibt es ja den Claim einer deutschen Automarke – die mit den Ringen – , der auch auf CARL GROSS passen könnte: Wir beherrschen Mode und die Technik, diese zu fertigen.“
Früher, als die Männer den Anzug tragen mussten, wenn sie ins Büro zur Arbeit gingen, war alles einfacher. Einfach reinverkaufen und fertig. Es ging nur um den Bedarf. Wünschen Sie sich die alten Zeiten zurück?
FW: „Wer mag es denn schon leicht – leicht ist langweilig und langweilig will doch keiner. Mir persönlich gefällt es, dass der Mensch individueller darin geworden ist, sich modisch auszudrücken. Es liegt jetzt an uns, dem Mann wieder Lust und Appetit auf den Anzug zu machen. Challenge accepted! Vor allem gefällt es mir, einen Kunden zu haben, der eher kaufen möchte, als kaufen muss.“
RB: „Die alten Zeiten? Auf keinen Fall. Heute denken wir vom Endkunden, also unserer Zielgruppe her. Alles, was wir entwickeln, ist vom Verbraucher aus gedacht. Nur Produkte, die wir aus diesem Ansatz heraus anbieten, haben heute auch eine Marktberechtigung. Und wie eine Gesellschaft aussehen würde, die nur dunkle, mehr oder weniger uniforme Anzüge hervorbringt, will ich mir gar nicht vorstellen.“
Der Anzug wird wohl auch in der Zukunft getragen. Aber wie sieht sein Träger aus?
FW: „Heutzutage kann man die Zielgruppen nicht mehr clustern wie früher. Der Anzugträger hat keinen Bart, kein bestimmtes biologisches Alter und auch nicht irgendwelche besonderen Merkmale. Der Anzugträger wird sehr hybrid sein. Von jung bis alt, von Vollbart bis glatt rasiert, alles kann, nichts muss. Wichtig ist es, die neuen Generationen wie zum Beispiel die Millennials abzuholen. Das ist unsere Aufgabe, den Anzug aus dem Klischee der Versicherungen und Banken heraus zu holen und ihn wieder alltagstauglich zu machen. Anzug ist cool für alle und fast überall! Egal ob Job oder Hochzeit: Ein CARL GROSS oder ein Teil von uns passt immer.“
RB: „Es gibt heute keine eindeutige Definition mehr, wie ein Anzug auszusehen hat und schon gar nicht für die Person, die diesen trägt. Mir ist nicht bange, dass der Mann ausstirbt, der seinen Anzug mit Begeisterung trägt und sich darin wohlfühlt. Wir treffen auf einen Mix aus neuer Lust und Bedarf. Je nach Anlass müssen wir den Anzug neu denken!“
Im Grunde haben wir schon alle Stoffe und Schnitte gesehen, die es gibt. Wirklich neu erfunden wird nichts mehr. Es bleibt also bei der Adaption des Vorhandenen, das auf die eigene Marke hin interpretiert wird. Wie sieht das für Ihre Marke aus?
FW: „Wir halten uns klar an unsere Brand Values: CONFIDENT-STRAIGHT-AUTHENTIC. Inspiriert vom Britpop und den Moods aus den 60er und 70er Jahren interpretieren wir die Stoffe und Schnitte immer wieder neu mit viel Liebe zum Detail zu uns passend. Bei uns fällt viel häufiger der Satz: ‚Das sind nicht wir, das passt nicht zu uns‘ als andersherum und ich denke, dass genau das der richtige Weg ist. Die Kunst des Weglassens und nicht des Machens ist heute gefragt. Fokussiere dich, dann wirst du ernst genommen in dem, was du tust.“
RB: „Da kann die Mathematik schnell helfen. Die Gestaltung eines Anzuges beruht bekanntlich auf vielen Faktoren: Schnitt, Stoffe, Dessinierungen, Farbe, Innenverarbeitung und Anlass. Die Reihe könnte ich noch eine Weile fortführen. Kurzum, damit lassen sich schon eine ganz stattliche Anzahl von immer neuen Variationen kreieren. Der berühmte Satz: ‚Das hatten wir schon mal …‘ trifft am Ende dann doch nicht zu. An irgendeinem Detail unterscheidet man dann doch eindeutig zwischen alt und neu.“
Wie weit ist Ihr Label auf dem Weg zur echten Marke?
FW: „Wir sind Marke.“
RB: „Das gilt auch für uns. Ich kenne bis heute keine eindeutige Definition zum Begriff Marke. Wenn es dabei um internationale Bekanntheit geht, dann können wir sicher noch zulegen.“
Die Anzüge erleben mit der anhaltenden Casualisierung ein ähnliches Schicksal wie die LPs, als die CDs aufkamen. Irgendwann waren sie aus den Läden verschwunden und wurden lange auf Flohmärkten verscherbelt. Heute werden sie zwar als Premiumprodukt angepriesen, aber die Stückzahlen früherer Zeiten werden nicht mehr erreicht. Können Sie dieser These folgen?
FW: „Vom Theater ins Kino und von der Telefonzelle zum Iphone. Technik und Mode zu vergleichen finde ich schwierig. Die Digitalisierung spielt zwar eine enorm wichtige und große Rolle für unsere Branche in der nächsten Dekade und auch schon jetzt. Dennoch geht es mit Blick auf die Entscheidung Denim oder Anzug nicht um Technikvorsprung, sondern um Stil und Anlass. Antwort: Nein, ich kann der These nicht folgen . Ich freue mich auf den Tag, an dem Mann vor dem Spiegel seine stilistische Armut aufgibt und wieder mehr Selbstachtung entwickelt.“
RB: „Mir gefallen Wörter, die mit ‚-ierung‘ enden, generell nicht. Ein Wort reicht unserer Branche leider immer zur temporären Neuorientierung : Vertikalisierung, Casualisierung, Digitalisierung. Diese Frage begegnet mir im Augenblick einfach zu oft. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass wir über 60 Prozent unseres Geschäftes mit Anzügen und Baukasten machen und damit auch kontinuierlich den Umsatz steigern! Zugegebenermaßen sinkt der Anteil von kompletten Anzügen. Split Suits gewinnen. Der Anzug ist und bleibt das ‚Sexiest Product for Men‘. Das sagt übrigens auch das andere Geschlecht. Ein überaus schlagendes Argument.“
Wie antworten Sie für Ihre Marke auf die Casualisierung? Wird die klassische Konfektion verlieren?
FW: „Ich bin der festen Meinung, dass die klassische Mode nur neu definiert werden muss. Es gibt sie, aber unsere Branche ist mit der Definition stehen geblieben und hat vergessen, sich in deren Beschreibung weiterzuentwickeln . Bei uns wird die Casualisierung oder eher die neue Klassik stets diskutiert. Wir reagieren darauf zum Beispiel durch unseren neuen Casual-Suit, wo der Anzug aus einer Westen-Chino-Kombi in gewaschener Baumwolle definiert wird. Für 2019 haben wir weitere spannende Projekte zu dem Thema geplant, über die ich jetzt aber noch nichts sagen kann.“
RB: „Auch so eine Sache. Warum suchen die Menschen, wenn etwas Neues aufkommt, immer nach dem, was im Gegenzug vermeintlich zwangsläufig verschwindet, ersetzt wird? Bei aller Vertikalisierung und Onlinehandel gibt es immer noch sehr viele erfolgreiche Händler. Ganz ähnlich sehe ich das mit dem Anzug. Es wird neu interpretierte, superbequeme, lässige Anzüge und Casualprodukte geben.“
Ein Träger von CG-CLUB of GENTS wird nie zu CARL GROSS greifen. Umgekehrt aber schon?
FW: „Das hoffe ich doch stark. Eigentlich ist mir egal, woher der Kunde zugreift, Hauptsache, er greift bei CG-CLUB of GENTS zu.“
RB: „Aber das geht auch umgekehrt. Warum sollte ein Käufer von CG-CLUB of GENTS nicht zu CARL GROSS greifen, wenn ihm die Passform oder der Stoff mehr zusagt? Ob CG-CLUB of GENTS oder CARL GROSS – Hauptsache GROSS.”
CARL GROSS ist weniger zukunftsanfällig als CG-CLUB of GENTS, da die Marke klassische Kunden anspricht, deren Wechselbereitschaft geringer ist und damit die Markenloyalität höher.
FW: „Ich glaube, das ist ganz stark ‚altes Denken‘. Jeder muss sich um seine Zukunft Gedanken machen und jeden Tag an der Marke, an sich und an seinem Team arbeiten. Andernfalls verlierst du, egal was für eine Sparte, Marke oder was auch immer du bist.“
RB: „Markenloyalität ist für mich ein historischer Begriff. Auch wenn die Experimentierfreude der Frauen immer noch deutlich ausgeprägter ist, sind Männer bereit, Neues zu probieren. Inzwischen haben Männer hier und da Appetit auf Leckerbissen und wollen nicht mehr nur gefüttert werden. Das heißt für uns, bei jeder neuen Kollektion mit Innovationen und Emotionen für starke Überraschungsmomente zu sorgen.“
CG kann als junge Marke, die etwas Neues schafft, leichter ins Ausland, expandieren, da die jungen Menschen durch die Digitalisierung kulturell und damit auch modisch enger miteinander verbunden sind. Das gilt auch für SAVILE ROW . CARL GROSS dagegen muss den Verbraucher von einer anderen Marke abbringen, die im Grunde die gleiche Mode bietet.
FW: „Vollkommen einverstanden.“
RB: „CG- CLUB of GENTS hat eine Alleinstellung und es gibt einfach nichts Vergleichbares auf dem Markt. CARL GROSS hat es da schwerer, denn speziell in unserem unmittelbaren Wettbewerbsumfeld gibt es sehr starke Konkurrenten. Wir fokussieren uns jeden Tag wieder auf Produkt, Passform und Qualität. Das wird niemals aus der ‚Mode‘ kommen.“
CARL GROSS kann sich mit der BLACK LINE auch preislich weiter nach oben positionieren, ohne die Kaufbereitschaft und Kaufkraft der Endkunden zu überfordern. CG dagegen kann wegen der Zielgruppe den Durchschnittspreis zwar bis zu einem bestimmten Punkt erhöhen, aber dann ist auch schnell die Endstation erreicht.
FW: „Das war einmal … Durch die Subline SAVILE ROW by CG-CLUB of GENTS haben wir die Barriere gelöst . Wir haben eins gelernt: Wenn es das richtige Produkt in Kombination mit dem richtigen Lebensgefühl ist, fällt die Preissensibilität stark ab. Natürlich gibt es Grenzen – ganz normal. Dennoch verkaufen wir im Handel auch Anzüge zum VK von 379 bis 449 Euro und Sakkos für 279 bis 349 Euro gut und mit steigender Tendenz. Das war für uns ein ganz wichtiger Schritt für die Zukunft. Denn den einen, der billiger ist, wird es immer geben. Du musst es schaffen, dich aus der Vergleichbarkeit abzuheben, dann hast du eine Chance.“
RB: „Tatsächlich ist es uns gelungen, preislich mit der BLACK LINE eine Brückenposition zu BOSS oder Eduard Dressler zu besetzen. Das kommt auch draußen im Handel sehr gut an, denn wir sorgen dafür, dass die Durchschnittsbons steigen. Das hat damit eine wohltuende Wirkung auf den Frequenzrückgang in den Läden. Die BLACK LINE hat mittlerweile einen Anteil von über 20 Prozent am CARL-GROSS-Umsatz.“
Beide Marken bedienen verschiedene Segmente, kommen aber aus dem gleichen Haus. Inzwischen ist die Markentrennung weit vorangeschritten. Was können Sie von der jeweils anderen Marke lernen.
FW: „Ich schätze die Marke CARL GROSS wie jede andere Marke in unserer Branche auch. Ich mag den Wettbewerb und habe großen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen. Natürlich ist die geschwisterliche Rivalität in einem Haus immer etwas ganz Besonderes – sie macht Spaß, pusht, ist transparent und wir sind sehr eng verbunden , trotz der weit vorangeschrittenen Divisionalisierung. Dass ich von der langjährigen Erfahrung meines Kollegen stets lernen konnte, daran besteht kein Zweifel und dafür bin ich sehr dankbar. Wir sind mit unserer Zwei-Marken-Strategie auch für schwierige Zeiten aufgestellt.“
RB: „Storytelling und Emotionalisierung, um es auf den Punkt zu bringen, das kann CARL GROSS von CG lernen. Eines ist mir noch wichtig zu sagen: Aufgelaufen kommen wir in diesem Jahr auf ein Umsatzplus von 3 Prozent. Das sage ich weniger, um eine Zahl zu nennen, als vielmehr, um auf die Tatsache hinzuweisen, dass es immer Chancen auch auf einem rückläufigen oder hoch kompetitiven Markt gibt. Und ein kontinuierliches, gesundes und profitables Wachstum in unserem Unternehmen und eine komplette Bankenunabhängigkeit sprechen dann doch eine eindeutige Sprache.“