Sport ist Lifestyle und Mode eben auch. Wenn die beiden zusammenkommen, müsste es doch eine Liebesheirat werden. Viele Aspekte bescheinigen dem Paar eine gute und lange Beziehung. Aber wie es halt so ist. Die beiden harmonieren nicht überall und speziell für die Menswear gibt es auch Wermutstropfen.
Adidas, Nike, PUMA sind in der Fashion längst angekommen. Und sie haben die finanzielle und kreative Potenz, das Spiel in bestimmten Segmenten zu bestimmen, zum Beispiel und besonders bei den Schuhen. „Der Sneakertrend hat einen großen Anteil an dieser Entwicklung. Die Menschen haben begonnen, bequeme, leichte Schuhe zu tragen, und die Bequemlichkeit, der Tragekomfort haben sich gewissermaßen von unten nach oben durchgesetzt. Dazu kommt der Trend zur Casualisierung. Nicht zuletzt durch Design-Kooperationen ist es den Sportmarken gelungen, die Mode zu erobern, ohne ihren Markenkern aufzugeben und damit unglaubwürdig zu werden“, sagt Marco Lanowy, Chef des Mönchengladbacher Hosenspezialisten Alberto. Als PUMA mit dem Sneaker erstmals das Lifestyle-Thema besetzte, wurde schnell klar, welch große Wachstumschancen damit verbunden sind. Das ist jetzt rund 14 Jahre her. „Seither drängen die Sportartikel-Marken mehr und mehr in die Fashion. Gerade bei Jugendlichen und jungen Männern sind Sportmarken auch für die Fashion besonders attraktiv. Sie kaufen bevorzugt bei Sporthäusern ihre alltägliche Kleidung ein“, sagt Dr. Ulla Ertelt, Partner und Managing Director des Frankfurter Marktforschers HML Modemarketing.
Dass Lifestyle-Produkte, die ein gewisses Lebensgefühl transportieren, stark nachgefragt werden, liegt am hohen Individualisierungsdrang unserer Gesellschaft sowohl in Mode- als auch in Sportsegmenten. „Hier liegt auch die Herausforderung, Produkte oder Sortimente als ‚Lifestyle-Produkte‘ zu platzieren“, sagt Philipp P. Prechtl, Leiter Sport/Mode/Luxus bei Dr. Wieselhuber & Partner. Die Zeit rast, scheint es. „Vielfältige Trendströmungen, die sich im digitalen Zeitalter rasant ablösen und zunehmend nebeneinander existieren, definieren vor allem im Modesegment Lifestyle. Influencer prägen über Social Media heute mit hoher Sichtbarkeit neue Modetrends – und Modeunternehmen haben längst das enorme Potenzial der Reichweiten mehrerer Millionen Follower erkannt. Sie vermarkten ihre Produkte über passende Werbeträger/innen. Voraussetzung: eine starke Marke und eine hohe Begehrlichkeit der Mode. Natürlich kann Lifestyle auch weniger glamourös transportiert werden und sich vordergründig über die Lebensart bzw. -einstellung der Konsumenten definieren. Bestes Beispiel: ein Nischenprodukt wie Trachtenmode, das oft noch zum Teil über traditionelle Kanäle vermarktet wird“, führt Prechtl aus.
Hersteller und Händler müssen gesellschaftliche Strömungen sowie Trends früh erkennen und in ihre Produktwelt aufnehmen. So erkennen auch Firmen mit einem breiteren Sortiment Handlungsbedarf, natürlich. Stephan Horst, Marketing-Chef der Brinkmann-Marke bugatti, sieht in Gesundheit, Fitness, Körperlichkeit, Jugendlichkeit Megatrends, die in die Mode abstrahlen. „Sport ist manifester Ausdruck dessen und ein Lifestyle-Statement. Sportmarken sind traditionell in diesem Segment zuhause und nutzen die Universalität des Themas, indem sie ihr Angebot in die Alltagsverwendung ausdehnen. Umgekehrt machen es wir Konfektionäre, indem funktionale und ästhetische Aspekte des Sports in den Kollektionen verarbeitet werden.“
Inzwischen lässt sich der Einfluss des Sports in vielen Bereichen kaum mehr verleugnen. Vom Sport kommt die Funktionalität, ergänzt um modische Details. Beide Bereiche bringen sich in Stellung und leben voneinander. Das beste Beispiel für Prechtl ist der Athleisure-Trend. „Plötzlich ist Sportbekleidung alltagstauglich und zum Teil sogar im Büro erlaubt. Das fördert den Trend natürlich zusätzlich. Entspanntere Dresscodes, die stärkere Casualisierung der Mode und das zunehmende Körper- und Gesundheitsbewusstsein hat viele Sportsortimente in den letzten Jahren aus der Nische geholt. Prominente Beispiele: der Sneaker-Boom oder auch die zunehmende ‚Salonfähigkeit der Jogginghose‘. Auch der Hosentrend 2018, die Trackpants, erinnert an den Verkaufsschlager von adidas: die Jogginghose mit den drei Seitenstreifen. Komfortablere Schnitte – angelehnt an weite Sweatpullis aus dem Sportsegment – sind ebenso angesagt.“ Labels, die es geschafft hätten, die Lässigkeit sportlicher Elemente mit ihrer Mode zu transportieren, hätten in den letzten Jahren in einem herausfordernden Umfeld die Nase vorn gehabt, meint Prechtl. Selbst Luxusmarken wie Thom Browne oder Marc Jacobs sind auf den „Athleisure-Zug“ aufgesprungen, ohne ihre Luxusmarken-Identität zu beschädigen. Mehr noch, Influencern wie Caro Daur und Co. verdanken diese Marken eine hohe Begehrlichkeit.
Besonders werden Casual-Segmente von sportlichen Einflüssen geprägt (Trackpants, Sweatpants, Yoga-Leggins, Crop-Tops etc.). Da die Menschen heute ihre Zeit nicht mit der Pflege von Textilien vergeuden wollen und sie den Tragekomfort zu schätzen gelernt haben, halten pflegeleichte und innovative Materialien zunehmend in anderen Modesegmenten Einzug. Selbst in der Businesswear sind Einflüsse aus dem Sport, getrieben vom Casual-Trend, angekommen. Prechtl nennt auch hier Beispiele: „Begann der Materialtrend vor einigen Jahren noch mit einer Beimischung von Chemiefasern zum Baumwollhemd, sind heute in der Businesswear zum Beispiel Materialien gefragt, die Komfort bieten, aber nicht unbedingt Elastan beinhalten. Die Palette reicht von Kombinationen wie eleganter Blazer/Sakko mit Leggins/Jogginghose bis zu Fasermischungen bei Hemden, die ähnliche Eigenschaften wie Laufshirts besitzen. Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich auch Jersey-Materialien, beispielsweise bei Anzügen oder Kostümen, da sie hohen Komfort bieten bei gleichzeitig elegantem Look.“
Prechtl ist überzeugt, dass sich das modische Selbstverständnis des Mannes in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Nicht zuletzt dank der massiven Promi-Präsenz in den sozialen Medien ist es inzwischen normal, sich auch als Mann für Mode zu interessieren. „Dazu beeinflusst der globale Trend eines gesunden Lifestyles wie Food oder Fitness auch das Mindset vieler Männer. Sie wollen sich zunehmend individuell, männlich, mit Bart, rustikaler Look und eben auch mit modischem Gespür darstellen. Rollenspezifische Stereotype werden aufgeweicht und der Mann wird als Zielgruppe für die Modebranche zunehmend interessanter. Er ist schon lange kein reiner Bedarfskäufer mehr, der seine Liebste oder Mutter seine T-Shirts kaufen lässt. Und ganz nebenbei trägt er zum Anzug auch im Business meist keine Krawatte mehr“, findet Prechtl.
Für die Branche leitet der Berater mehrere Handlungsempfehlungen ab. So sollten ein höherer Modegrad und die Casualisierung in die Kollektionen einfließen. Andererseits müsse die technische Affinität der Männer durch Gadgets am POS, digitale Vernetzung und Ähnliches befriedigt werden. „Auch das Aufgreifen von Trends rund um das Thema ‚das Leben genießen‘, Dinge wie Wellness, Reisen, Food, Freizeit muss künftig viel stärker in den Fokus der POS- und Kollektionsgestaltung gerückt werden und mit digitalen Chancen wie Social Media verknüpft werden“, meint Prechtl.
Alberto-Chef Lanowy hat den Sport als „Lebensgenuss“ in seiner Produktwelt strategisch verankert und das zu einem frühen Zeitpunkt, wie er betont: „Wenn Modemarken nun ihrerseits die Lässigkeit, den Sport und die Funktion aufgreifen, wirkt es häufig verkrampft. Unser Vorteil ist, dass wir als Spezialist schon sehr früh das Thema angegangen sind. Wir wissen, worauf es vom Sourcing bis zur Produktion und auf der Fläche, bei der Inszenierung von Sport und Funktion ankommt. Wir haben uns in den Bereichen Bike, Golf sowie Hiking und Segeln die nötige Kompetenz erarbeitet. Das Bewegen, der Sport löst neue Impulse aus und der Handel spürt, dass es nicht mehr ausreicht, einfach eine Raw Denim zu verkaufen. Der Sport wird konkreter. Wenn ein Mann auf einem Rennrad sitzt oder auf einem Mountainbike im Wald unterwegs ist, wird er sicher viel Wert auf zweckmäßige Kleidung und Funktion legen. Fährt er aber mit dem Rad in die Stadt, um sich mit Freunden zu treffen, wird er seine Alltagskleidung tragen. Und auch hier ist Funktion gefragt.“
Heute liegt bei Alberto der Umsatz-Anteil, der dem Sport zuzurechnen ist, zwischen 10 bis 13 Prozent. Tendenz steigend. Alberto beliefert auch Spezialisten und sportaffine Händler wie ROSE Bikes oder Engelhorn Sport. „Unser Fokus liegt ganz klar auf Bike und Golfen. Inzwischen tragen viele Golfer unsere Hosen auch zum Wandern. Ich sage das, weil ich fest davon überzeugt bin, dass der Trageanlass über die Hose entscheidet. Wir werden immer mehr Hybride sehen, die die Anforderungen an eine Alltags- oder Businesshose, gleichzeitig aber auch die an Sporthosen erfüllen. Wir werden das Segment weiter aus- und aufbauen“, kündigt Lanowy an.
Bei bugatti wird das Thema mit „Flexcity“ produktgruppenübergreifend angegangen: Bewegungskomfort durch Stretch und spezielle Verarbeitungsvarianten. „Diese ursprünglich aus dem Sport kommenden Attribute finden so bei uns Eingang in die Citywear. In der Vermarktung stellen wir explizit auf den Aspekt Bewegungskomfort mit seinen Vorteilen in der alltäglichen Verwendung ab. Wir kreieren jedoch keine Sportkollektion. Unser Kern bleibt moderne Citymode“, sagt Stephan Horst. In der Kommunikation dagegen nutzen die Herforder den Sport direkt. Durch Sponsoring des österreichischen Fußball-Bundesligisten Rapid Wien sowie des finnischen Eishockey-Nationalteams.
Dr. Ertelt vom HML Modemarketing, Frankfurt, schränkt aber ein, dass die vielen sportlichen Trends nicht gerade bei allen Männern eine Fitnessbegeisterung ausgelöst haben. Im Gegenteil: „Sicher sind gerade junge Männer sportinteressiert und achten mehr auf ihren Körper. Modetrends je nach Stil verfolgen sie und sind entsprechend informiert. Auch mag es den agilen, sportlichen 60-Jährigen geben, der Marathon läuft, zu langen Bergtouren aufbricht oder sich auf den sozialen Medien beim Segeln zeigt. Aber sie sind eher die Ausnahme. Tatsache ist nämlich, dass zwei Drittel aller deutschen Männer übergewichtig bis adipös sind laut neustem Bericht der WHO 2018. Da bleibt von der neuen Sportlichkeit wenig übrig.“
Keiner spricht gerne mehr von Altersgruppen, aber ein kurzer Blick auf Deutschlands Straßen zeigt, dass mit dem Alter ganz augenscheinlich die Präferenz für ‚Sport‘-Mode ab- und der Wunsch nach Bequemlichkeit und Funktion zunimmt. Ganze Heerscharen von Büro-Angestellten bevölkern gerade wieder zur nass-kalten Jahreszeit die Züge, die über den klassischen, gerne auch leicht ausgebeulten Anzug eine Jack-Wolfskin-Jacke tragen. Ist halt praktisch. Dr. Ertelt kippt noch ein wenig mehr Wasser in den Wein: „Die Ergebnisse unserer MAFO zeigen: Vielen Männern ist die Mode schlicht egal und Bequemlichkeit wichtig. Statistisch lässt sich jeder zweite Mann von seiner Partnerin einkleiden. Und von den verbleibenden 50 Prozent, die selbst Bekleidung einkaufen, hören wiederum 30 Prozent auf den Rat ihrer Partnerin beim Kauf bestimmter Warengruppen, wie zum Beispiel Anzüge, Sakkos.“ Dafür hat der gute alte Dehnbund seine sportliche, innovative Interpretation gefunden und lebt selbst in modisch spitzen Warengruppen fort: „Der Dehnbund hat bei den Jogpants oder Jeans mit hohem Elastananteil überlebt. Funktionalitäten sind immer ein Kaufargument für Männer. Und hier schließt sich der Kreis zur Jack-Wolfskin-Jacke. Diese wird gekauft, weil sie einfach praktisch und keinem Modetrend unterworfen ist“, sagt Marktforscherin Dr. Ertelt.
Doch kein Sporttrend? Es komme darauf an, antwortet Dr. Ertelt, die Mode kenne keine monokausalen Zusammenhänge mehr. „Die Individualisierung wird weiter zunehmen und damit die Anzahl der Faktoren, die einen Kleidungsstil beeinflussen. Männer wollen in ihrem Umfeld wenig auffallen. Auch wenn sie sich anders als die meisten kleiden, tun sie das im Schutz der Gruppe, der sie angehören. Egal ob sie als ‚Banker‘ einen Anzug tragen oder mit Tattoo und Undercut zu einer handcrafted Jeans greifen. Sport und Funktion werden aber gleichwohl weiter fest in der Mode verankert sein.“