Verkaufen, was nicht da ist

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Nutzenversprechen einhalten ©unitex

Autor: Markus Oess

Die erste Ausgabe des unitex-Congresses in der Messe Ulm Ende September zog rund 500 Teilnehmer an. Das Motto des Kongresses: Persönlich & Digital. Diskutiert wurde, wie die Händler auf der Fläche die digitale Welt für sich nutzen können, um die eigenen Wettbewerbsvorteile gegen die Systemwettbewerber wirkungsvoller einzusetzen. Aber was bedeutet die Forderung nach mehr Erlebnis auf der Fläche und Fokussierung auf die Kunden eigentlich konkret?

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Die Stimmung in der Branche ist nach der abgelaufenen Sommersaison recht aufgeheizt. Doch von heißer Partylaune und Caribbean Beats keine Spur. Das heiße Wetter, so das Mantra, habe die Abverkäufe ordentlich verbretzelt, statt die Konsumenten zum Konsum zu kitzeln. So zumindest die Lesart vieler Player. unitex-Chef Gerhard Albrecht lässt den alleinigen Schuldspruch am Wetter nicht gelten. Seine Mitglieder kommen noch mit mehr oder weniger schweren Hautrötungen davon.

Wir wollen das Beste aus beiden Welten.“ Gerhard Albrecht ©unitex

FT: Herr Albrecht, inzwischen sind einige Gewinnwarnungen draußen und es überrascht das Wetter. Wieder mal. Wie viel ist hausgemacht, wie viel Schuld haben Handel und Industrie am mauen Geschäftsverlauf?
Gerhard Albrecht: „Zum Wetter kann ich sagen, dass ich gelernt habe, dass das Wetter die kurzfristigen Bedingungen draußen bezeichnet, langfristig ist es das Klima. Und Letzteres verändert sich, wie es aussieht. Aber das ist eine andere Frage. Ich schätze mal, das Wetter ist zu einem einstelligen Prozentbereich für die Misere verantwortlich. Der Rest geht zurück auf die bekannten Größen: Digitalisierung, Vertikalisierung, Flächenüberhang und einen schon schmerzhaften Warenüberhang.“

Wie ist die unitex mit ihren Mitgliedern aus dem Sommer rausgekommen?
„Unsere Mitgliedshäuser müssen aufgelaufen ein Umsatzminus von circa 3 Prozent verkraften. Etwas geholfen hat eine Spannenverbesserung, ausgleichen konnte das den Umsatzverlust nicht. Die Roherträge liegen um die 2 Prozent unter Vorjahr bei leicht gestiegenen Kosten. Ich habe den Eindruck, dass unsere Händler noch glimpflicher davongekommen sind als viele andere des Marktes.“

Prominent besetzt war die Podiumsdiskussion des unitex-Congresses, die sich mit den Herausforderungen auf der Fläche angesichts des digitalen Wandels beschäftigte. Es diskutierten Gerd Oliver Seidensticker, Chef des gleichnamigen Hemdenherstellers, Gert Griehl von Pier 14, Fares Gabriel Hadid von der PANORAMA BERLIN, Günter Nowodworski von der Agentur now communication, Thomas Kronefeld, TK FASHION GROUP, und Günter Warth, Modehaus KELLER-WARTH. Unter der Moderation von Prof. Dr. Oliver Janz von der DHBW Heilbronn wurden Wege angesprochen, wie dem Frequenzrückgang auf der Fläche begegnet werden und der digital vernetzte Verbraucher wieder in die Läden gebracht werden kann. Dabei gehören Emotionalisierung, individuelle Kundenansprache, Personal und das richtige auf den Standort abgestimmte Sortiment zu den Erfolgsfaktoren. Einig war sich die Runde, dass eine bloße Adaption von digitalen Geschäftsmodellen zu nichts führen wird. Über allen Maßnahmen müsse eine Strategie stehen, ein für den Verbraucher erkennbares, emotional aufgeladenes Nutzenversprechen, das digital und analog auch erfüllt werden sollte.

Individualisierung und Erlebniskauf werden gern als probate Mittel genannt, die helfen. Klingt erst mal gut, was aber könnte konkret getan werden?
„Ganz einfach: Wir müssen lernen, Ware zu verkaufen, die nicht da ist. Wir haben auf der einen Seite 20 Prozent Abschriften und auf der anderen Seite kommen 30 Prozent der Käufe nicht zustande, weil die Ware nicht verfügbar ist. Da ist die Farbe falsch oder die passende Größe nicht im Laden. Wenn es gelingt, nur ein Drittel in echte Verkäufe zu drehen, dann haben wir 3 Prozent mehr Umsatz in der Kasse und das mit einer vollen Kalkulation und ohne Zusatzkosten. Das wird die Betriebsergebnisse deutlich steigern. Genau aus dem Grund haben wir in Kooperation mit FASHION CLOUD eine App zur elektronischen Regalverlängerung im Portfolio. Wir haben heute die Möglichkeit, dem Händler mit überschaubaren Kosten eine individuelle Kunden-App anzubieten und jetzt neu auf der Plattform Outfits24.de online zu verkaufen. Ein System, das vom selben Anbieter entwickelt wurde wie Schuhe24.de. Digital holen wir gegenüber dem Online-Handel auf und haben inzwischen das passende Werkzeug parat. Wir nennen das Programm unitex-Connect und werden noch eine Reihe weiterer sehr interessanter digitaler Tools für unsere Mitglieder in diesem Projekt anbieten.“

unitex reloaded. Die Neu-Ulmer haben mit ihrem neuen Kongressformat die Mitgliedertreffen auf noch breitere Beine gestellt. Die erste Ausgabe des unitex-Congresses in der Messe Ulm Ende September zog rund 500 Teilnehmer an. Das Motto des Kongresses: Persönlich & Digital. Ein Widerspruch, vor allem weil Zukunftsforscher Matthias Horx auf dem Kongress mit der These provozierte, dass die Hälfte aller Flächen überflüssig ist. Ein Ende des Abschmelzungsprozesses im Handel ist offenbar in Sicht. Aber unitex-Chef Gerhard Albrecht will im Grunde die Kompetenzen des stationären Handels als Local Hero digital aufrüsten, um systemische Nachteile der Online-Konkurrenz und der Vertikalen auszukontern. Albrecht sieht in dem digitalen Diktat nicht nur Nachteile – im Gegenteil.

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Die Umsatzsteuerstatistik zeigt einen deutlichen Schwund im Handel. Wann wird Ihrer Einschätzung nach der Boden erreicht sein?
„Wann der Abschmelzungsprozess tatsächlich zu Ende ist, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Schwer zu sagen, wie viele Händler noch schließen müssen. Allerdings teile ich nicht ganz den Pessimismus von Zukunftsforscher Matthias Horx, der in dem Zusammenhang von 50 Prozent spricht.“

,Persönlich & Digital‘ lautet das Motto des Kongresses. Was ist damit gemeint?
„Wir wollen das Beste aus beiden Welten: Die digitalen Tools sollten so eingesetzt werden, dass sie auf die Alleinstellung vor Ort einzahlen. Keiner kennt den lokalen Markt so gut wie der Händler selbst. Und er kann damit Wissen einsetzen, das die großen Player systembedingt nicht haben und sich auch nicht erarbeiten können. Wieder komme ich auf mein Beispiel vor Ort zurück. Wer seine App mit lokalen Inhalten füllt, die speziell auf das direkte Umfeld und die Kunden abzielen, macht vieles richtig.“

Sie haben eben die Prognose von Horx angesprochen, wonach 50 Prozent der Flächen zu viel sind. Welche Indikatoren können zurate gezogen werden, um abzuprüfen, ob man zu den anderen 50 Prozent gehört?
„Das lässt sich in einem Satz nicht sagen. Es gibt keine Pauschallösung. Entscheidend ist eine klare Strategie, die eine profilierte Marktposition des Händlers in seinem direkten Wettbewerbsumfeld sichert und auch auf die Herausforderungen der Zukunft so etwas wie Handlungsempfehlungen gibt. Der Endkunde muss den Nutzen und Vorteil sehen, sonst kommt er nicht. Hier spielt eine Vielzahl von Faktoren, wie Sortiment, Markenportfolio, Service und natürlich die richtige Zielgruppe, eine Rolle. Ich war vor Kurzem an der Vermittlung eines sehr erfolgreichen HAKA-Händlers in einer Kleinstadt beteiligt. Der bisherige Inhaber wollte altersbedingt aufhören, aber der Laden war und ist auch unter der neuen Führung hochprofitabel. Das ist Beweis für mich, dass der Erfolg im Grunde immer möglich ist, wenn ich das passende Konzept habe.“

Sie treiben in der unitex auch die digitale Aufrüstung des stationären Handels voran. Was hat es mit dem neuen Angebot von Outfits24.de auf sich? Das Prinzip ist ja bekannt aus Schuhe24.de, das der Anbieter bereits vor knapp fünf Jahren lanciert hat.
„Es ist ein zusätzlicher Absatzkanal für stationäre Händler, mit dem sie direkt und ohne große Investitionen starten können. Es geht also um zusätzlichen Umsatz und Ertrag sowie die Gewinnung von Neukunden. Schuhe24.de ist die Blaupause für Outfits24.de. Eine Plattform, die anhaltend wächst und damit eine gewisse Sichtbarkeit im Netz hat, die ein einzelner Händler unter normalen Umständen nicht erreichen kann.“

Wie viele werden mitmachen?
„Wir stehen noch ganz am Anfang, die Plattform wird jetzt erst freigeschaltet. Das Interesse ist sehr groß.“

Der Betreiber der Plattform, Dr. Dominik Benner, arbeitet frei am Markt. Können auch Nichtmitglieder der unitex einsteigen?
„Ja, natürlich. Das ist eine offene Plattform mit viel Potenzial für kleinere und mittelständische Textilhändler. Allerdings gibt es im Projekt unitex-Connect für die Mitglieder der unitex ein deutliches Plus an Leistungen.“