Autor: Andreas Grüter
USA oder Japan? Die Frage, von welcher der beiden Denim-Supermächte die derzeit besten Jeans kommen, gleicht längst einem Kulturkampf, der unter Connaisseuren mitunter mit harten Bandagen ausgefochten wird. Wer dabei recht hat, wollten wir bei unserem Ausflug in blaue Tiefen herausfinden.
‚Die Jeans ist ein Stück US-amerikanischer Arbeitergeschichte und gleichzeitig ein Symbol für Freiheit und Rebellion …‘ – man kennt den Mythos, der Levi’s als unumstrittene Urväter der Nietenhose feiert und Lee und Wrangler als weitere Beispiele früher Denimkultur hochhält. Galten Produkte traditioneller amerikanischer Jeanslabels trotz der wachsenden Konkurrenz italienischer Fashionjeans noch bis weit in die Neunziger hinein sowohl stilistisch als auch qualitativ als unantastbares Maß aller Dinge, nahm spätestens mit dem Hype um die Raw Denims des japanischen Labels Evisu Anfang der 2000er Jahre der Jeanszug aus dem Land der aufgehenden Sonne auch international deutlich an Fahrt auf.
American Made
Zu den am meisten erzählten Anekdoten rund um das Phänomen Japan-Denim zählt sicherlich die Geschichte der alten, qualitativ hochwertigen Webstühle, die von vermeintlich fortschrittlichen amerikanischen Jeansherstellern nach Fernost verramscht worden sein sollen. Ein Gerücht, wie sich schnell herausstelle, das jedoch dem blauen Japanstoff einen geheimnisvoll-exotischen Hauch verlieh und ihn zum fave Talk in Nerdtown machte. Fakt ist, dass US-Jeanshersteller sowohl aus modischen als auch aus Kostengründen in den 1980ern aus der Produktion hochwertiger Selvedge-Denims ausstiegen und danach nur noch für limited Editions und Original-Repros auf die Leistungen der legendären Cone Mills White Oak Plant als einzig verbliebener Produktionsstätte für Selvedge-Ware in den Vereinigten Staaten zurückgriffen. Bis die 112 Jahre alte Manufaktur im Dezember 2017 schloss und damit eine Ära zu Ende ging. Aufgrund der jahrzehntelangen Dominanz der Cone-Mills-Ware gilt Denim Made in USA als äußerst einheitlich und zeichnet sich besonders durch eine regelmäßige Textur, einen weichen Griff und gleichmäßige Fadings bei längerem Tragen aus. Ganz im Gegensatz zu seinem japanischen Counterpart.
Stoff aus Japan
Während japanische Arbeiter bereits in den 1920er Jahren die robusten Pants für sich entdeckten, ging der Jeans-Craze als popkulturelles Phänomen erst in den mittleren 1950er Jahren mit Filmen wie ‚Rebel without a Cause‘ richtig durch die Decke. Dabei waren vor allem die US-Originale beliebt und wurden hoch gehandelt. Gleichwohl etablierte sich jedoch schon früh eine eigene Jeansindustrie, deren Ware vor allem vom Webstuhl ‚Automatic Model G’ geprägt war, den der spätere Toyota-Automobilmogul Sakichi Toyoda 1924 entwickelte. Nachdem japanische Jeanslabels wie Canton und Big John Mitte der Sechziger noch der Authentizität wegen ausschließlich auf Cone-Mills-Stoffe zurückgriffen, kam 1972 schließlich Japans erster Selvedge auf den Markt und gab den Startschuss für eine atemberaubende Entwicklung, die das Land in wenigen Jahrzehnten vom Jeans-Mimikry zu einer der führenden Nationen für blaues Gold machte. Dabei ist es nicht nur die Vielzahl an Denim-Mills, die Jeans aus Japan in der Textur so uneinheitlich und facettenreich macht. Auch die verschiedenen Färbeverfahren, deren Ursprünge teils Jahrhunderte zurückreichen, und nicht zuletzt die sprichwörtliche asiatische Detailversessenheit bei der Verarbeitung sorgen für einen von Jeans zu Jeans unterschiedlichen und damit höchst individuellen Look, den man sich als Träger angesichts der Schwere des Materials allerdings erst einmal hart erarbeiten muss. Zwar werden auch in Japan leichte Stoffe produziert, die wahre Kompetenz liegt hier aber bei schweren Qualitäten, die bei 14 oz. anfangen und bei 20 oz. noch lange nicht aufhören. Tiefe Einblicke ins blaue Herz Japans bietet die wunderbare Dokumentation WeavingShibusa – www.weavingshibusa.com
And the Winner is…
…eindeutig der eigene Geschmack. Wer es klassisch und traditionell Vintage mag, wird an amerikanischen Jeans auch in Zukunft nicht vorbeikommen. Und die wird es auch weiterhin geben, da laut gut informierten Kreisen die Cone-Mills-Läger beim Aus noch gut gefüllt waren. Modischen Abenteurern auf der Suche nach Herausforderungen und uniquen Styles seien japanische Modelle ans Herz gelegt.