Dr. Dominik Benner ist Gründer der Handelsplattform Schuhe24.de. Das Grundprinzip ist einfach: Händler halten die Ware vor, Dr. Benner verkauft gegen Provision. Das könnte auch als Genossenschaft funktionieren, es ist aber ein gewinnorientiertes Unternehmen. Warum für Dr. Benner Leistung diesbezüglich den Gemeinschaftsgedanken schlägt und wie die Plattform weiter wachsen will.
FT: Herr Dr. Benner, das Modell funktioniert als Gemeinschaftsprojekt. Hatten Sie auch daran gedacht, eine Genossenschaft zu gründen?
Dr. Dominik Benner: „Das ist richtig. Schuhe24.de ist wie eine Symbiose, in der beide Seiten das einbringen, was sie am besten können: der stationäre Händler den direkten Kundenkontakt und damit auch ein gutes Gespür für Kundenwünsche. Wir steuern die technische Infrastruktur bei, Funktionen wie Kundenservice, die man gut bündeln kann, und die nun über mehrere Jahre gewachsene Erfahrung für Online-Marketing. Allerdings bewegen wir uns im E-Commerce in einem hochdynamischen Wettbewerbsumfeld, das schnelle Entscheidungen, Probierfreude und Mut zum Risiko erfordert, weil man ansonsten von der Konkurrenz abgehängt wird. Das sind Anforderungen, die ich nicht mit einem genossenschaftlichen Ansatz in Einklang zu bringen sehe, bei dem – nach meiner Erfahrung – Entscheidungen lange Vorlaufzeiten und Diskussionen vorausgehen. Ich kenne kein großes E-Commerce-Projekt weltweit, das als Genossenschaft geführt wird. Dies ist glaube ich eindeutig.“
Was unterscheidet Sie von Verbundgruppen wie SABU oder ANWR?
„Zunächst einmal bieten wir zwar sehr viel an für Händler, auch neben dem Online-Verkauf. Wir sind aber keine Verbundgruppe. Wir sind rein leistungsorientiert und auch keine Genossenschaft. Wir arbeiten aber für Verbundgruppen wie den GMS Verbund mit seinen über 1.300 Händlern. Dort sind wir Exklusivpartner für alle Online-Themen.“
Der Schuhhandel gilt im Vergleich zur Fashion doch eher als ziemlich muffig, selbst die Großen Händler scheinen Erlebniskauf über Regalmeter zu definieren. Warum ist das so?„Das ist historisch so entstanden und in der Branche so eingefahren. Aber ich bin zu wenig Spezialist, um wirklich dies so pauschal zu beantworten. Denn: In beiden Formaten und Branchen gibt es auch superinnovative Player, die es verstanden und geschafft haben! Auch DEICHMANN gehört dazu.“
Schon mal Avancen bekommen zu verkaufen?
„Die bekommen wir durchaus häufig. Aber bisher war nie das Passende dabei oder der Grund wirklich hinreichend, da wir sehr stark wachsen.“
Wie funktioniert die Solidarität im deutschen Handel?
„Ich denke, die ist durchaus begrenzt. Wir machen selbst viele Tagungen mit Händlern und es ist ein tolles Wirgefühl. Aber wenn alle wieder zu Hause sind, ist die Verbindung oft nicht mehr so eng. Daher glaube ich, dass die meisten Händler egal welcher Branche meist allein kämpfen.“
Verkaufen Sie auch selbst über Schuhe24.de?
„Ja, wie bereits erwähnt, führt meine Familie mit shoe fashion benner seit mehreren Generationen Schuhgeschäfte im Rhein-Main-Gebiet, wir haben zehn Geschäfte. Vor einigen Jahren haben wir selbst begonnen, online zu verkaufen, das war die Gründung von Schuhe24.de. Mit dem Erfolg von zalando in Deutschland sowie Zappos.com in den USA war absehbar, dass wir uns als im stationären Handel verwurzelte Einzelhändler dem E-Commerce stellen müssen, um langfristig überlebensfähig zu bleiben. Aus diesen Aktivitäten ist Schuhe24.de entstanden. Heute sind wir einer von vielen auf unserer Plattform.“
Wer entscheidet im Zweifel, wer nun den Umsatz macht?
„Das entscheidet allein das System. Kundenzufriedenheit – und das heißt schnelle, zuverlässige Lieferung – ist im E-Commerce neben dem Preis das alles entscheidende Kriterium. Wir alle haben es sicherlich schon einmal erlebt, man bestellt etwas und dann erhält man die Nachricht, dass der Artikel doch nicht mehr verfügbar ist. Das ist immer sehr ärgerlich. Daher erhält derjenige Händler beziehungsweise die Filiale den Zuschlag, die vom gewünschten Artikel die größte Stückzahl auf Lager hat. Somit soll vermieden werden, dass ein Schuh bereits im Laden oder online verkauft worden ist. Auch wenn wir daran arbeiten, ist ein zuverlässiger Bestandsabgleich zwischen den vielen Plattformen, auf denen wir aktiv sind, in Echtzeit noch nicht möglich.“
Gab es auch Streit, der mit dem Ausstieg aus Schuhe24.de für einen Händler endete?
„Bislang – und das Wachstum, das wir seit der Gründung erzielt haben, ist ein Indikator dafür – haben wir vieles richtig gemacht, sodass wir mit Ausnahme von zwei Händlern niemanden verloren haben. Dem ging aber auch kein Streit voraus, sondern einer der Händler hat einfach für sich entschieden, dass er das Thema Online lieber komplett selbst macht, der andere Händler war insolvent.
Sicher und gerade wenn man schnell wächst, läuft auch ab und zu etwas schief: Dann klingelt bei mir sofort das Telefon. Darüber hinaus kümmern sich bei uns viele Mitarbeiter allein um die Belange der Händler, sodass wir im täglichen Kontakt mit ihnen stehen und schnell mitbekommen, wenn und wo der Schuh drückt. Im halbjährlichen Turnus veranstalten wir ein Händlertreffen zum Erfahrungsaustausch hier in Wiesbaden, wo wir die Strategie besprechen und ungeschminktes Feedback bekommen zu dem, was läuft und was aus Sicht der Händler verbesserungswürdig ist. Insgesamt geben wir uns, denke ich, sehr viel Mühe, um fair und transparent zu sein. Und last, but not least: Wir haben eine Warteliste für Händler derzeit, weil wir zu viel Nachfrage haben, obwohl wir keinerlei Vertrieb machen oder Händler ansprechen. Insofern ein durchaus schöner Zustand. Würden wir mehr Ressourcen und Kapital haben, würden wir automatisch noch viel schneller wachsen und dies ohne Risiko.“
Was steht in der Zukunft an, Internationalisierung oder Erweiterung der Sortimente?
„Beides. Wir haben uns vorgenommen, bis 2020 auf 100 Millionen Euro Umsatz zu wachsen. Dafür möchten wir neue Vertriebskanäle im In- und Ausland erschließen. Des Weiteren denken wir darüber nach, welche sinnvollen Erweiterungen des Sortiments wir vornehmen können, um noch mehr Kunden ansprechen zu können. Mode startet richtig dieses Jahr, mit Sport haben wir bereits begonnen und werden dieses Jahr hier einen geringen zweistelligen Millionenbetrag umsetzen. Insofern geht es vor allem um Sortimentserweiterung, dann um neue Länder, aber sehr selektiv.“
„Mitmachen kann jeder Händler“
Eine Plattform für kleine und mittlere Einzelhändler, die Größenvorteile nutzen will, ist eine so schlechte Sache nicht, vor allem dann nicht, wenn die Angelegenheit so aufgebaut ist, dass der einzelne Händler noch wahrgenommen und nicht als kleine Bit-Einheit verbucht wird. Schuhe24.de vermarktet seit 2014 Schuhe für Händler online und verdient damit Geld. So funktioniert das Modell.
„Im Grunde kann jeder Händler bei uns mitmachen“, heißt es von Schuhe24.de, Wiesbaden. Nach eigener Aussage beteiligen sich Händler mit einem Geschäft und solche mit 60 Filialen an dem Geschäftsmodell: Die Wiesbadener bieten die Online-Plattform, treten also gegenüber dem Endkunden mit einem Gesicht auf und verkaufen den Schuh, den der Händler liefert, werben aber offensiv damit, für lokale Schuhhändler zu arbeiten. Einzige Voraussetzung für einen Einstieg von Handelsseite ist ein Warenwirtschaftssystem, das mit dem System von Schuhe24.de kompatibel ist. Das, schätzen die Plattformbetreiber, sei bei 80 bis 90 Prozent der Geschäfte der Fall. Spezielle Schnittstellen sollen einen Live-Zugriff ermöglichen und die Buchungen vornehmen. Investitionen in einen eigenen Online-Shop, Foto-Equipment oder monatliche Gebühren entfallen. Allerdings erhebt das Unternehmen pro Bestellung „eine kleine Gebühr sowie für die Bearbeitung von Retouren. Hinzu kommen Provisionen, die wir an andere Plattformen oder für den Traffic-Einkauf abführen müssen“, erklärt ein Sprecher.
Klar, besonders willkommen sind Händler, die Marken und Kategorien führen, die noch nicht oder unzureichend auf der Plattform vertreten sind. Das Sortiment soll in der Breite und Tiefe ausgebaut werden. Schuhe24.de zählt inzwischen mehr als 150 Schuhfachhändler mit mehr als 800 Geschäften. Damit hat sich nach eigenen Angaben im zurückliegenden Jahr die Händlerzahl in etwa verdoppelt. Das Unternehmen rechnet für 2018 mit 50 Millionen Euro Umsatz. Für 2020 sind 100 Millionen Euro geplant.
Schuhe24.de arbeitet im Grunde nach dem Prinzip von Airbnb, UBER oder FLiXBUS, verfügt also über keinen eigenen Bestand, vermittelt aber. Dr. Dominik Benner, selbst stationärer Händler mit zehn Filialen, hatte 2013 angefangen, online Schuhe zu verkaufen. Später fragten andere Händler an, ob er auch für sie verkaufen könne. So wurde das Konzept geboren. Die Schuhe werden dabei in mehreren Online-Shops (wie gabor-schuhe.com, Schuhe24.de etc.) angeboten, zudem auch auf Kanälen wie KLINGEL, KARSTADT, limango oder mirapodo, meyermode, Alba Moda und vielen mehr. Teilweise werden Produkte auch auf Marktplätzen wie amazon, allyouneed.de, real.de oder E-Bay sowie US-Marktplätzen angeboten.
Der Händler kauft und lagert die Ware. Er legt fest, welche Artikel aus seinem Bestand online verkauft werden dürfen. Die Hessen kümmern sich um die Pflege der Produktbilder und Artikeldaten, Marketing und Verkauf. Mittels einer Schnittstelle sind die Wiesbadener mit dem Warenwirtschaftssystem der Händler verbunden und können die dezentral gelagerten Warenbestände zu einem Gesamtbestand zusammenfassen. Bestellungen werden den einzelnen Händlern als E-Mail elektronisch zugewiesen, die Anpassung der Bestände erfolgt ebenfalls automatisch. Der Händler muss den bestellten Schuh verpacken und die Pakete werden dann täglich von dem Logistiker DHL abgeholt.
Von wo die Bestellung eingeht beziehungsweise wohin geliefert wird, spielt bei der Weitergabe der Bestellung keine Rolle. Das System entscheidet allein nach dem Warenbestand, wer den Zuschlag erhält. So soll sichergestellt werden, dass der gewünschte Schuh auch geliefert werden kann und nicht bereits im Laden verkauft worden ist
Peter Dietz betreibt ein Schuhhaus in Bad Neustadt an der Saale in dritter Generation und ist einer der Händler der ersten Stunde. Er ist mit der Plattform zufrieden: „Es läuft alles glatt. Im ersten Jahr gingen die Umsätze steil nach oben. Im zweiten Jahr fielen sie dann ab, nachdem weitere Händler aufgeschaltet wurden. Heute entwickeln sich die Erlöse wieder leicht nach oben. Wir verkaufen auch Altware darüber und das oft zu besseren Preisen als im Laden.“ Auch Cornelius Schnabel, Lüneburg, äußert sich gegenüber FT zu dem Modell positiv. Auch er führt seinen Schuhladen seit 2009 in dritter Generation. Inzwischen sind die Online-Umsätze auf 25 Prozent am Gesamtumsatz gestiegen: „Wir sind superzufrieden. Wir machen Umsätze, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Inzwischen haben wir vier weitere Arbeitsplätze geschaffen.“ Schnabel verkauft auch über schuhe.de und betont, dass nicht jeder Schuh digital verkauft werden kann. Ein bestimmter Preis müsse schon erzielt werden, um die Provisionen und Gebühren zu decken.
Inzwischen beteiligen sich Händler aus allen Bundesländern, aber es gibt regionale Unterschiede. In Westdeutschland ist die Plattform weit stärker vertreten als in Ostdeutschland. Und es gibt auch erste Händler, die Schuhe und Textil haben. „Aktuell fokussieren wir uns auf den Schuhhandel und haben hier ja auch noch viel Luft nach oben, aber wie zalando gezeigt hat, ist der Bereich Textil eine Option, um das Sortiment zu erweitern, die wir dieses Jahr richtig starten werden“, kündigt der Sprecher an. „Allerdings stören uns die hohen Retourenquoten in diesem Segment. Darüber hinaus ist Bekleidung auch aufwendiger bei der Produktbilderstellung.“