Autorin: Gerlind Hector
Was Nachhaltigkeit genau bedeutet, welches Öko-Siegel gilt und was der Kunde wirklich will – darüber scheiden sich auch im Jahr 2018 noch die Geister. Dabei könnte alles ganz einfach sein, wie eine jüngst veröffentlichte Agenda zeigt. Der globale Wandel in die richtige Richtung hätte eine Chance, wenn Behörden, Industrie und Handel ihre Ideen und Kräfte bündeln und die Wünsche interessierter Kunden ernst nehmen würden.
„Ob ich Biobaumwolle verwende oder herkömmliche, interessiert meine Kunden kaum.“ Joachim Kern, Inhaber und Designer des Menswear-Labels JoaHkRaus, steht in seinem Ladenlokal in der Kölner Lindenstraße, wo er eine durchaus umwelt- und stilbewusste Klientel berät. Die beeindruckt vor allem die lokale Herstellung und die offensichtliche Liebe zum Produkt. „Viel Anklang findet die Tatsache, dass ich meine Stoffe von regionalen Webereien beziehe und alles hier vor Ort anfertige.“
Der offene Durchbruch vom Laden hin zum Atelier, wo man die Schneider bei der Arbeit beobachten kann, war schon so manches Mal das Zünglein an der Waage, wenn es um die finale Kaufentscheidung ging.
Transparenz in der Herstellungskette, Liebe zum Produkt – auch das bedeutet Nachhaltigkeit. Laut einer repräsentativen Umfrage der Lebensmittelkette Kaufland zum Thema „Kleidung und Fairtrade in Deutschland“ vom Februar 2018 finden immerhin zwei Drittel aller Deutschen, dass soziale und ökologische Kriterien in der Textilproduktion zukünftig eine immer größere Rolle spielen sollten. Dennoch verbindet bislang nur jeder Zehnte das Fairtrade-Siegel auch mit Hochwertigkeit. Stattdessen zählen beim Fashionshopping nach wie vor, und zwar in genau der Reihenfolge: Bequemlichkeit, Schadstofffreiheit und modische Aspekte.
Sexyness kommt also immer noch vor Fairness – das gilt bei Frauen und Männern gleichermaßen, auch wenn Letztere zu weniger Spontankäufen von trendy It-Pieces neigen, markentreuer sind und mehr Wert auf Langlebigkeit legen.
Langlebigkeit und zeitloser Stil? Das spielt auch Gunnar Berendson in die Hände, der am Chiemsee seinen Herrenausstatter „SEESTRASSE7“ betreibt.„Der Zeitgeist bringt zum Glück gerade eine höhere Wertschätzung von Handwerk und Qualität“, erzählt er in einem Interview mit Fair-Fashion.net. „Das entspricht unserer Auffassung– allerdings nicht als Trend, sondern als Haltung. “Neben Modellen des niederländischen Hemdenspezialisten 100 HANDS freuen sich Berendsons Kunden über Hosen und Westen der Sartoria Colazzoaus Apulien oder Accessoires der KREIS LEDERMANUFAKTUR.
Ja, auch Leder kann nachhaltig sein. Das findet auch Bernhard Roetzel, Autor des Standardwerks über Herrenmode „Der Gentleman“. Denn wer seltener und dafür sorgsamer konsumiere, also sein Geld statt für fünf Paar Billigtreter lieber in ein Paar Maßschuhe aus vegetabil gegerbtem Leder investiere und sie womöglich über Jahrzehnte trage, zeige ebenfalls Verantwortung.
„Buy less, choose well, make it last!“ Der viel zitierte Aufruf der Modedesignerin Vivienne Westwood, die damit bereits vor Jahren das Ende des Kapitalismus beschwor und seitdem immer wieder dazu auffordert, lieber weniger, dafür aber hochwertiger einzukaufen, trägt langsam Früchte: egal, ob sich die Sustainability Manager von weltweit agierenden Konzernen wie KERING und Co um den Carbon Footprint ihres Unternehmens sorgen, die Branche viel Geld in die Entwicklung biologisch abbaubarer Stoffe steckt oder die Macht des Konsumenten beschworen wird wie alljährlich bei der Fashion Revolution Week, die an den Einsturz des Rana Plaza in Bangladesch erinnert und seitdem mit inspirierenden Events und Vorträgen an ein neues „Mode-Bewusstsein“ appelliert.
Noch gilt die Textilindustrie als zweitschmutzigste der Welt. Das beweist auch der vor wenigen Wochen veröffentlichte „Pulse Score Index“, der die Leistungen der Branche regelmäßig misst und von der Global Fashion Agenda (GFA) und der Boston Consulting Group erarbeitet wurde. Dabei kann Nachhaltigkeit auch ein gutes Geschäft bedeuten; nicht ohne Grund haben 75 Prozent der globalen Textilfirmen im vergangenen Jahr ihre Sozial- und Umweltbilanzen verbessert. Aber es reicht eben noch nicht.
Was also tun? Die GFA zeigt in ihrer Agenda, wo es noch hapert und wohin die Reise gehen sollte: die vielen schönen Ansätze bündeln und einen globalen Wandel einläuten. Das kann am besten gelingen, wenn Behörden, Unternehmen und Verbraucherorganisationen wie ein gut funktionierendes Ökosystem zusammenarbeiten. Das gemeinsame Ziel ist bereits formuliert – und vielleicht auch bald in Sicht.