Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Die Katastrophe von Rana Plaza, bei der über 1.100 Menschen ums Leben kamen und über 2.400 Personen verletzt wurden, hat sich am 24. April 2018 zum fünften Mal gejährt. Fashion Today hat im Gespräch mit Christiane Schnura, Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung, nachgehört, inwieweit sich die Arbeitsbedingungen heute verbessert haben.
Christiane Schnura setzt sich als Koordinatorin bei der Kampagne für Saubere Kleidung nun schon seit 17 Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern von Bekleidung ein. Fünf Jahre nach der Katastrophe von Rana Plaza in Bangladesch, die mehr als 1.100 Menschenleben und 2.400 Verletzte forderte, hat Fashion Today nun bei der 60-Jährigen nachgefragt, ob sich in der Konsequenz die Situation für Fabrikarbeiter und Näherinnen verändert hat.
FT: Frau Schnura, was ist Ihnen im Zusammenhang mit dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza besonders im Gedächtnis hängen geblieben?
Christiane Schnura: „Die Überlebenden von Rana Plaza mussten viel zu lange auf Entschädigung warten. Dies ist wirklich untragbar. Die Menschen waren traumatisiert und verletzt – sie bekamen keine ärztliche Hilfe, weil sie einfach kein Geld hatten, um einen Arzt zu entlohnen. Mit sofort geleisteten Zahlungen hätte dies verhindert werden können. Ich erinnere mich an einen Bericht über eine junge Frau, die nach einer Verletzung bei dem Fabrikeinsturz im Rollstuhl sitzen musste. Da sie keine Hilfe erhielt, kam man letztendlich nicht umhin, ihr beide Beine zu amputieren. Dies hätte nicht passieren dürfen, der ganze Fabrikeinsturz hätte nicht passieren dürfen.“
Wie sieht der Alltag von Fabrikarbeitern heutzutage aus?
„Es ist nach wie vor so, dass Näherinnen unter extrem langen Arbeitszeiten zu leiden haben. Bei Produktionsprozessen gibt es kaum Schutzvorkehrungen, die Luft ist sehr staubig, es ist heiß. Die Toilettengänge sind streng reglementiert, sodass die Näherinnen von vorneherein wenig trinken – dies führt später oftmals zu Nierenproblemen. Die Löhne sind sehr niedrig. Trotz Überstunden kann eine Familie von dem Geld nicht ernährt werden. Ein zentrales Ziel unserer Arbeit ist es daher, die Löhne zu verbessern, zudem muss Gewerkschaftsfreiheit vorherrschen. Die Arbeiter müssen sich organisieren können, um in der Lage zu sein, ihre Forderungen erfolgreich durchzusetzen.
Sind Modeunternehmen in Sachen faire Arbeitsbedingungen mittlerweile denn aufmerksamer, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
„Bei dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza handelt es sich um den bis dato größten Unfall im Bekleidungssektor – dies hat natürlich zu einem Aufschrei in Medien und Öffentlichkeit geführt, der Druck auf Unternehmen ist sehr gestiegen. Sie können sich nicht mehr aus der Verantwortung ziehen oder mit Gleichgültigkeit reagieren. So hat auch die Bundesregierung vor vier Jahren das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen, um Unternehmen und Gewerbe stärker in die Pflicht zu nehmen und Arbeitsbedingungen zu verbessern – vom Baumwollfeld bis hin zum Kleiderbügel. Nur leider gibt es noch keine sichtbaren Verbesserungen vor Ort.“
Das Bündnis für nachhaltige Textilien will 2019 mit dem grünen Knopf ein neues Siegel einführen, was halten Sie davon?
„Wir denken, dass es noch zu früh für ein derartiges Siegel ist. Bislang gibt es vonseiten der Unternehmen, die Mitglied im Textilbündnis sind, nur Absichtserklärungen. Inwieweit diese umgesetzt werden, ist unbekannt, da bislang noch keine Fortschrittsberichte öffentlich sind. Und auch diese Berichte müssen natürlich unabhängig kontrolliert werden. Papier ist bekanntlich geduldig. Erst wenn nachweislich Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter angekommen sind, ist ein Siegel glaubwürdig. Doch davon sind wir noch weit entfernt beim Textilbündnis.“
Wie kann Ihrer Meinung nach ein flächendeckender Fortschritt für faire Arbeitsbedingungen erreicht werden?
„Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts, bei den Näherinnen haben sie nichts bewirkt. Es ist unverzichtbar, dass gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es müssten für alle die gleichen Verpflichtungen gelten – ob in Deutschland, Europa oder weltweit. Eine globalisierte Welt muss in Bezug auf Menschen- und Arbeitsrechte auch global geregelt werden.“
Ist denn der Endverbraucher sensibler auf das Thema zu sprechen?
„Das Thema ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Jedoch bedeutet das Wissen um Missstände nicht, dass dementsprechend gehandelt wird – bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Man muss dabei sagen, dass das Angebot an fair gehandelter Kleidung bis dato begrenzt ist, es wird viel über das Netz verkauft. Die Hin-und-her-Schickerei von Paketen ist ja nun auch nicht als nachhaltig zu bewerten. Neben der Verfügbarkeit ist die Tatsache ein Problem, dass nachhaltige Kleidung teurer ist als konventionelle und ein Teil der Bevölkerung einfach nicht viel Geld zur Verfügung hat. Der Konsument muss schlichtweg seinen eigenen Konsum auf den Prüfstand stellen. Untersuchungen zufolge würde die Garderobe eines jeden Kleiderschrankes für sieben Jahre ausreichen, es ist viel zu viel da. Der Kauf von Secondhandware ist eine gute Alternative. Man kann also festhalten, dass das Bewusstsein um die Problematik bei Endverbrauchern schon vorhanden ist, in puncto Handlung gibt es jedoch noch viel Luft nach oben.“
Wie setzen Sie sich als Kampagne konkret dafür ein, die Situation für Fabrikarbeiter zu verändern?
„Wir haben unseren Ursprung in den Niederlanden und sind mittlerweile ein Netzwerk von 24 Trägerorganisationen. Wir arbeiten mit Kirchengemeinden sowie Regionalgruppen zusammen und führen gemeinsam Aktionen durch. Noch dazu verschicken wir Newsletter und lassen über unsere Homepage Petitionen laufen, um hierzulande Unternehmen unter Druck zu setzen und Menschen zu bewegen – vor allem junge Leute erreichen wir so. Wir verfügen über gute Kontakte zu Organisationen in den Produktionsländern. Auch wenn wir keine prinzipiellen, strukturellen Verbesserungen herbeiführen können, so ist es uns in der Vergangenheit schon gelungen, bereits gefeuerte Gewerkschafter wieder zurück in ihr Arbeitsverhältnis zu führen und so ihre Rechte zu verteidigen.“
Sie sind seit 17 Jahren in der Kampagne für Saubere Kleidung engagiert, was ist Ihr Antrieb?
„Ich werde oftmals gefragt, ob es nicht frustrierend sei, sich so lange Zeit ohne wirklich tief greifenden Fortschritt zu engagieren. Als ich bei der Kampagne angefangen habe zu arbeiten, also vor 17 Jahren, waren unsere drei Töchter 11, 13 und 15 Jahre alt. Damals fragte ich mich, was wäre, wenn unsere drei Töchter unter solch menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssten. Klein beizugeben kommt für mich daher absolut nicht infrage, es ist mir wahrhaftig eine Herzensangelegenheit, für die Rechte von Fabrikarbeitern zu kämpfen. Es ist eine solche Ungerechtigkeit, die in den Produktionsländern vorherrscht – dazu kann ich einfach nicht schweigen.“