Autor: Markus Oess
Wenn die Konsumwelt in den Innenstädten der Republik lüstern lockt, fallen die letzten Hemmungen und die Deutschen stürzen sich leidenschaftlich in Kauforgien, aus denen sie erst dann verkatert erwachen, wenn der letzte Cent ausgegeben ist und sie unsanft aus den Läden befördert werden. So ist es im Einzelhandel – aber nun gerade nicht in der Fashionbranche, die, wenn sie überhaupt Wachstum verzeichnet, dieses sich entlang der Inflationsrate aufzieht. Das war es dann. Die Deutschen geben ihr Geld bevorzugt für andere Dinge aus. Also buhlen die Händler um die Konsumenten mit allen erdenklichen Mitteln, um sie aus ihrer Trägheit zu reißen. Die Läden werden zusehends zu Erlebnisplätzen, die auf Emotionalisierung setzen, mit individualisierter Kundenansprache arbeiten und neue, edle Gastro-Konzepte auffahren. Aber leider zeigen die Deutschen am meisten Herz, wenn selbiges mit weißen Prozentzeichen auf rotem Grund in Schwingung gebracht wird. Was aber machen die, denen selbst dann noch das Objekt der Begierde in unerreichbare Ferne entrückt bleibt, weil sie es schlicht nicht bezahlen können? Und von ihnen gibt es eine Menge.
Laut Armutsbericht 2017 hat in Deutschland mit 15,7 Prozent die Armutsquote einen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. Damit lagen 2015 in Deutschland 12,9 Millionen Menschen unter der Grenze für Armutsgefährdung. Der Verband greift aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu, das den Anteil der Menschen mit einem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens misst. Die Schwelle liegt bei einem Single bei 942 Euro Einkommen im Monat, bei einem Paar mit zwei kleineren Kindern bei 1.978 Euro.
Wer also mehr Geld auf dem Konto hat, ist nicht arm? Das kommt darauf an. Denn Menschen, die zwischen 60 und 200 Prozent des Medianeinkommens verdienen, zählen definitionsgemäß zur mittleren Einkommensschicht. Singles, die 985 Euro und 4.095 Euro zur Verfügung haben, gehören beide dieser Gruppe an, merkt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) an. Bei zwei Familien mit einem Kind liegen diese Werte bei 1.770 Euro und 7.370 Euro im Monat. Arme „Mittelschicht“ – am unteren Ende der Mittelstufenskala wird es verdammt eng, denn gerade in der Stadt fressen Miete und Fixkosten sehr schnell den Monatsetat auf.
In den vergangenen zehn Jahren haben insgesamt 18,2 Millionen Menschen Hartz IV bezogen, davon waren 5,47 Millionen unter 15 Jahre alt. Diese Zahlen lieferte eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann. Die Statistik umfasst alle Personen, die in den vergangenen zehn Jahren mindestens einmal Hartz IV bekommen haben. Viele von ihnen nahmen die Unterstützung nur übergangsweise in Anspruch, zum Beispiel, weil sie keine Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung hatten. Im Februar 2018 erhielten laut Bundesagentur für Arbeit 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Fast jeder zehnte Haushalt bezieht Hartz IV.
Der Hartz-IV-Satz wird über der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamts errechnet, die alle fünf Jahre neu erhoben wird. Zur Ermittlung der Höhe werden die unteren 15 Prozent der Einpersonen- und unteren 20 Prozent der Mehrpersonenhaushalte herangezogen. Auch wird bestimmt, welche Anteile des Satzes für welche Ausgaben vorgesehen sind. Derzeit liegt der Regelsatz bei 416 Euro monatlich. Für Bekleidung und Schuhe werden 36,45 Euro zugebilligt.
Zu wenig, zu viel? Sicher bieten Statistiken Raum für Interpretationen, aber laut Statistischem Bundesamt entfielen im Jahr 2016 rund 54 Prozent der Konsumausgaben auf Wohnen, Ernährung und Bekleidung. Pro Haushalt waren das durchschnittlich 1.327 Euro im Monat. Allein für den Bereich Wohnen gaben die Haushalte rund 35 Prozent (877 Euro im Monat) aus. Rund 14 Prozent (342 Euro) betrugen die Ausgaben für Ernährung. Auf Bekleidungsausgaben entfielen rund 4 Prozent (108 Euro) und in 59 Prozent aller Haushalte leben wenigstens zwei Personen, auf die sich diese Ausgaben für Bekleidung verteilen. Was bekommt man für 36,45 Euro wirklich? FT hat es ausprobiert.