Autor: Markus Oess
Schwaben können wachsen und Geld verdienen. Nicht immer steckt die berühmte Fuchsigkeit dahinter. Im Gegenteil, DIGEL investiert in die Zukunft. Die Marke soll weiter profiliert und das Unternehmen für künftiges Wachstum gestärkt werden. Was die beiden Vorstände, Jochen Digel und Michael Berngruber, in den nächsten Monaten planen und wie sie das Wachstumstempo hochhalten wollen.
Seit November 2017 ist Michael Berngruber als Vorstand bei dem schwäbischen Menswear-SpezialistenDIGEL, Nagold. Er verantwortet die Ressorts Produkt, Vertrieb und Marketing und folgte Michael Bischof, der zur Konkurrenz nach Lüneburg zu ROY ROBSON zurückgekehrt war. Berngruber kommt von der Clinton Gruppe. Zuvor war er bei TOMMY HILFIGER in Amsterdam und bei HUGO BOSS in Metzingen tätig. Mit Berngruber werde die Unternehmensführung ihre auf Wachstum ausgelegte Strategie fortführen, hieß es dazu aus Nagold.
FT: Herr Berngruber, von Clinton zu DIGEL ist es nicht nur modisch ein kultureller Bruch. Haben Sie sich gut eingelebt?
Michael Berngruber: „In der Tat sind das zwei Welten, aber die 24/7-Anzug-Welt von DIGEL kommt mir in ihrem konfektionsgetriebenen Denken sehr entgegen. Das Unternehmen ist sehr gut aufgestellt und die Bereitschaft, Veränderungen mitzugehen, wird gelebt. Wenn wir zu 90 Prozent alles so machen wie bisher und 10 Prozent verändern, dann werden wir weiter kommen als viele Wettbewerber. Und ich kenne die Gegend noch aus meiner Zeit bei HUGO BOSS. Ich bin jetzt sechs Monate dabei und kann sagen, ich bin angekommen. Es wurde mir aber auch im Unternehmen sehr leicht gemacht.“
Was konnten Sie aus Hoppegarten mitnehmen?
Berngruber: „Was ich mitgenommen habe, ist das Denken in Looks, der Ansatz, Kollektionen von der Fläche her zu entwickeln, was wann und wo in den Läden sein muss. Der Wille, Entscheidungen zu treffen und konsequent umzusetzen, ist in beiden Unternehmen sehr ausgeprägt.“
Gab es Änderungen in den Ressorts? Zwar sollte eins zu eins besetzt werden, aber Sie hatten Änderungen im Marketing angedacht.
Jochen Digel: „An den Verantwortlichkeiten hat sich nichts geändert. Herr Berngruber kümmert sich wie Herr Bischof vorher auch um Produkt, Marketing und Vertrieb und ich habe meine Ressorts behalten. Ich sitze als Vertreter der Inhaberfamilie einzig bei den ganz großen Marketingaufwendungen mit am Tisch.“
Die Wachstumsstrategie sollte beibehalten werden, was war konkret gemeint?
Berngruber: „Ganz klassisch, die Stärken zu bewahren. Unsere Kernkompetenzen liegen im Anzug, in Qualität, Preis/Leistung, Passform und natürlich im Service sowie der Lieferfähigkeit. Dazu kommen jetzt aber neue Themen, die wir unter zwei Überschriften zusammenfassen können: Digitalisierung und Casualisierung. Hierauf werden wir in der nahen Zukunft den Schwerpunkt unserer Aktivitäten legen und Gas geben.“
Was heißt das?
Digel: „Bei der Digitalisierung geht es in erster Linie um die Effizienz vor allem unserer Logistik. Wir haben 6 Millionen Euro in die Erweiterung unseres Lagers hier in Nagold investiert und die Lagerkapazitäten um 40 Prozent von 15.000 Quadratmetern um weitere 7.500 Quadratmeter erweitert. Im Mai gehen wir live. Dann können wir 500.000 Hängeteile im Jahr lagern. Für uns ein Quantensprung, um unser Wachstum zu bewältigen. Wir werden RFID auf Artikelebene einführen, das führt für uns zu einer deutlichen Optimierung hinsichtlich Schnelligkeit und Datenverarbeitung vom Wareneingang bis hin zur Fakturierung, weil wir bislang die Daten mit dem Handscanner einlesen. Wenn Sie sich einmal einen Karton mit sagen wir zehn Hemden vorstellen, der ausgepackt und jedes Hemd einzeln gescannt werden muss, können Sie sich leicht vorstellen, von welchen Verbesserungen wir da sprechen, wenn wir komplette Einheiten datentechnisch vereinnahmen werden.“
Wann starten Sie damit?
Digel: „Wir testen seit zwei Monaten auf Produktebene. Wir wollen spätestens bis Anfang 2019 damit arbeiten. Wir haben auch unser Liegendlager mit allein 20 Mitarbeitern aufgestockt, vor allem wegen der Schuhe. Wir planen in diesem Jahr ein Volumen von 100.000 Stück. Das werden wir auch schaffen, wir haben in diesem Jahr bereits 40.000 Stück verkauft.“
Berngruber: „Zudem werden wir uns in der Produktentwicklung weiter digitalisieren. So werden wir in naher Zukunft einen 3-D-Avatar einsetzen. Zudem werden wir im PLM- beziehungsweise PDM-Management, also im Produktlebenszyklus-Management, künftig Daten in Echtzeit verarbeiten. Wir werden auch hier die Prozesse beschleunigen und die Prototypen früher als heute fertigstellen. Mittel- bis langfristig wollen wir uns auch vertrieblich weiter digitalisieren, zum Beispiel mit einem digitalen Showroom. Schwerpunkt bleibt aber zunächst der rückwärtige Bereich.“
Wie hoch sind die Summen, die Sie dafür in diesem Jahr einsetzen wollen?
Digel: „Wir haben für dieses Jahr 0,5 Millionen Euro eingeplant und für das kommende 1 Million Euro.“
Sie sprachen auch von der Casualisierung als zweitem Themenkomplex, auf den Sie sich konzentrieren wollen …
Berngruber: „Genau. move wird unser wichtigster Kommunikationsweg in die Zukunft. Wir machen inzwischen 25 Prozent Umsatz damit. Wir sind schon sehr breit aufgestellt, auch im Casual-Bereich. Allerdings werden wir besonders in Deutschland noch als Anzug-Anbieter betrachtet. In Frankreich oder Russland ist das völlig anders. Hier sind wir schon ein Komplettanbieter. Wir müssen also die Kommunikation in diese Richtung forcieren, um auch auf dem Heimatmarkt entsprechend wahrgenommen zu werden. Inzwischen haben wir eine Exportquote von zwei Dritteln. Da der Export weiter an Bedeutung gewinnen wird, müssen wir die gesamte Kommunikation und Außendarstellung weiter internationalisieren. Das gilt für Endverbraucherwerbung, aber genauso für die Kommunikation mit dem Handel. Wir sind auf zahlreichen Messen wie der Pitti in Florenz, CIF in Kopenhagen oder der CPM mit eigenen Ständen vertreten. Alles Maßnahmen, an denen wir auch in Zukunft festhalten werden.“
Der Nagolder Menswear-Spezialist DIGEL hat das zurückliegende Geschäftsjahr 2017 nach eigenen Angaben mit einem Rekordumsatz von 110 Millionen Euro abgeschlossen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einem Plus von 8 Prozent. Stärkster Wachstumstreiber war Deutschland mit einem Anstieg von mehr als 11 Prozent. Auch das erste Quartal ist mit einem Umsatz‐Zuwachs von 10,4 Prozent mehr als ordentlich verlaufen. Doch kann DIGEL auch langfristig den Fuß auf dem Gaspedal halten?
DIGEL ist im vergangenen Jahr erneut deutlich gewachsen, im Inland sogar um 11 Prozent. Neue Warengruppen wie Schuhe und der Ausbau des Casual-Bereiches waren die Wachstumstreiber. Wie lange lässt sich das Wachstum in Deutschland noch halten?
Digel: „Das Tempo können wir noch wenigstens vier, fünf Jahre aufrechterhalten. Sicher sind wir schon in Deutschland gut distribuiert, aber wir haben noch Wunschkunden. Zum Zweiten sind wir auch bei den Bestandskunden mit dem Umsatz noch lange nicht da, wo wir sein könnten, und wir wachsen natürlich auch über neue Produktgruppen. Über die Schuhe hatten wir ja bereits kurz gesprochen.“
Gehen Sie auch an die klassischen Schuhhändler?
Digel: „Zunächst bedienen wir unsere angestammten Händler. Wir waren auch in Mailand auf der MICAM und werden auf der Gallery SHOES ausstellen. Ganz klar im kommenden Jahr werden wir aktiv in den klassischen Schuhhandel hineinverkaufen. Darüber hinaus sehen wir Potenzial in den genannten Casual-Sortimenten.“
Wie sind die ersten Monate angelaufen?
Berngruber: „Sehr gut. Wir liegen nach dem ersten Quartal bei plus 10 Prozent, im Wholesale sogar bei 11 Prozent. Aber auch der eigene Retail, also unsere 20 Läden, haben 3,4 Prozent zugelegt. Aus der Vororder sind wir mit einem Wachstum von 9 Prozent ausgestiegen und haben 5 Prozent Neukunden gewonnen. Der Durchschnittsumsatz pro Kunde ist um 4 Prozent gestiegen.“
Werden Sie wieder ähnlich stark wie das vergangene Jahr abschließen?
Digel: „Ja, allein die Schuhe, die wir zum ersten Mal das volle Jahr durchschlagen, geben einen starken Wachstumsimpuls. Und wir legen in allen Sortimentsbereichen zu.“
Anzüge blieben zwar das Brot-und Butter-Geschäft, aber DIGEL wandele sich zum Komplettlook-Anbieter, haben Sie beim letzten Mal gesagt. Wie viel des Weges haben Sie schon hinter sich?
Berngruber: „DIGEL als Komplettanbieter ist schon Realität. Aber speziell in Deutschland würde ich sagen, sind wir in der Wahrnehmung bei vielleicht 60 Prozent. Wir werden neben der Kommunikation natürlich auch in den Kollektionen arbeiten. Sie verkleinern und in ihrer modischen Aussage stärker profilieren. Und zwar bei DIGEL und move. Der Anzug ist unser Kernprodukt, aber wir werden uns besonders um Jacken, Mäntel, Chinos, Jeans, Strick und Jerseys kümmern. Zudem muss sich move als komplett eigenständige Kollektion deutlich stärker von DIGEL abheben. Den Dreiklang Marketing, Produkt und das Thema Athleisure werden wir gezielt ausspielen. Übrigens auch intern, wo move von den Mitarbeitern noch als Passform-Variante ‚Slim Fit und Extra Slim Fit‘ betrachtet wird. Wie Sie wissen, haben wir in der zurückliegenden Herbst/Winter-Saison auch für DIGEL Slim Fit eingeführt. move ist ein Lebensgefühl, keine Passform.“
Ist ein Rebranding geplant?
Berngruber: „Wir schließen das nicht aus.“
Und eine Denim-Linie?
Berngruber: „Ist auch durchaus möglich.“
Wie geht es in Russland voran, wann könnte das alte Niveau wieder erreicht werden?
Digel: „In Russland geht es in kleinen Schritten aufwärts. Wir haben etwa 85 Prozent des alten Niveaus zurückgewonnen. Russland lag schon bei 5 Prozent Umsatzanteil. Wir arbeiten dort mit einer eigenen Tochter. Osteuropa, zu dem wir neben Russland auch die Ukraine oder kleine Länder wie Kasachstan zählen, liegt bei plus 19 Prozent. Russland hat einen etwas kleineren Anteil am Wachstum.“
Wie macht sich das Geschäft in den USA?
Digel: „Der US-amerikanische Markt ist nicht einfach. Der Markt leidet immer noch unter hohen Rabatten, die Einkäufer senken in der Reaktion weiter ihre Budgets. Und es gibt häufige personelle Wechsel. Das alles macht den Einstieg für einen Newcomer nicht leichter. Aber die USA haben ein Riesenpotenzial. Wir haben uns entschlossen, das Land anzugehen. Jetzt ziehen wir das auch durch. Wir waren in New York und Chicago auf den Messen und haben in der ersten Saison 35 Kunden gewonnen. Wir werden jetzt Bundesstaat für Bundesstaat ausrollen.“
Création Gross stellt sich in Frankreich neu auf. Was raten Sie Ihrem Geschäftsführerkollegen?
Digel: „Frankreich ist unser größter Auslandsmarkt und wir arbeiten dort ähnlich wie in Polen und Russland mit einer eigenen Vertriebstochter mit mehr als 50 Mitarbeitern und einem fünfköpfigen Außendienst. Unsere deutschen Wettbewerber Création Cross, BENVENUTO und ROY ROBSON machen einen exzellenten Job und sie sind auch im Ausland unsere größten Wettbewerber. Wichtig sind, denke ich, ein unverwechselbares Profil und Durchhaltevermögen.“
DIGEL modernisiert sich und arbeitet an der Markenprofilierung gegenüber dem Endverbraucher. Auch produktseitig tut sich was. Und: DIGEL und DIGEL move werden im Markt schärfer getrennt. move wird zum Vehikel ins 21. Jahrhundert. Social-Media-Marketing rückt zusehends in den Mittelpunkt.
Was werden wir auf der Pitti und in Berlin zu sehen bekommen?
Berngruber: „Wir werden erstmals auch Premium-Anzüge in einer Top-Qualität zeigen. Wir verarbeiten CARLO BARBERA. Das ist ein Stoff, den Sie hierzulande sonst nur bei Windows und BOSS bekommen. Wir werden aber keine Premiumlinie dafür aufmachen, die Anzüge laufen unter DIGEL. Die Casualisierung hält weiter Einzug in unsere Kollektionen. Gerade auch, was das Sakko und die Westen angeht. Der etwas legerere Komplettlook steht im Vordergrund. Bei move werden wir das Athleisure-Thema weiter vorantreiben. Unser Active Suit bildet die Basis, um die herum sich move neu definieren wird. Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Wir wollen unsere Kunden modisch abholen und sie in die neue DIGEL-Welt mitnehmen. Und wir werden auf der Panorama DIGEL Ceremony einen eigenen Auftritt gegenüber unserem Hauptstand geben. Anlassmode ist für uns ein extrem wichtiges Feld, dem wollen wir mit dem eigenen Auftritt Rechnung tragen.“
Sie wollen DIGEL zur Marke machen, investieren viel Geld in die Printkampagnen und haben auch Social-Media-Marketing angeschoben. Können Sie eine Veränderung messen?
Digel: „Wir untersuchen alle zwei bis drei Jahre mit einer Verbraucherbefragung, wie sich die Marke entwickelt hat, und wir sehen durchaus Veränderungen. Wir halten an den Printkampagnen fest, aber das ist nicht für alle Ewigkeiten in Stein gemeißelt. Die Hinwendung zum Digitalen lässt sich noch nicht valide messen. Dafür ist es noch zu früh.“
Berngruber: „Aber wir werden hier mehr investieren. Vor allem in move. move ist unser Vehikel ins 21. Jahrhundert. Generell gilt für alle Marketingmaßnahmen, dass sie auf den PoS einzahlen müssen. Danach werden sie ausgewählt, daran werden sie gemessen.“
Was wird für move in Deutschland dann kommen?
Digel: „Wir werden im Herbst eine breit angelegte Influencer-Kampagne für move starten. Und haben im Marketing zusätzlich zwei neue Mitarbeiter eingestellt, die sich um die digitale Darstellung und die sozialen Medien kümmern werden.“
Bleibt es bei dem Mix oder wird sich etwas ändern?
Digel: „Wir werden das digitale Marketing sicher ausbauen, die klassische Werbung aber nicht vernachlässigen. Also damit auch mehr ins Marketing investieren.“
Facebook schält sich wieder aus dem Skandal und ändert im Grunde nichts. Dennoch zeigt es, dass auch ein Gigant wie Facebook verwundbar ist. Jetzt räumt Facebook seinen Nutzern ein, im Zuge der neuen Datenschutzrichtlinie auf personalisierte Werbung zu ‚verzichten‘, und schreibt in dem Zusammenhang, dass die Werbung genauso häufig kommen werde, aber nun nicht mehr auf den Nutzer passe. Passt so ein Denkansatz noch, haben Sie auf den Facebook-Skandal reagiert?
Berngruber: „Noch sind wir sowieso nicht in dem Umfang von dem Skandal betroffen wie andere Marken. Wir beobachten das. Es ist sicher ein komplexes Thema, das zu einer gewissen Vorsicht mahnt. Wir setzen aber künftig auf diese Mechanismen. Ich erwarte übrigens auch von der Verkaufsfunktion von Instagram, die unlängst auch für den deutschen Markt freigeschaltet wurde, einiges. Man kann es wenden, wie man will – an sozialen Medien kommen Sie nicht mehr vorbei.“