Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Das digitale Zeitalter bietet Marken eine ganze Serie an neuen, nie da gewesenen Möglichkeiten, um sich erfolgreich zu positionieren. Allerdings gilt es, diverse Spielregeln einzuhalten. Fashion Today hat mit Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers an der Hochschule Niederrhein, einen Experten zum Thema befragt, zudem schildern die Macher der Newcomer Brands COLOURS & CITIES sowie Pregis ihre Erfahrungen.
Das Internet – Glück und Unglück zugleich?! Noch nie zuvor hat ein Medium Marken sowie Unternehmen wohl mehr Möglichkeiten geboten, das eigene Brand erfolgreich nach vorne zu bringen. Parallel wartet das Netz mit einer ganzen Reihe von Fallstufen auf, die für Agierende durchaus weitreichende Konsequenzen haben können. Fashion Today hat mit Prof. Dr. Gerrit Heinemann über Chancen und Herausforderungen für Marken sowie Unternehmen in Zeiten des WWW gesprochen. Heinemann ist Gründer und Leiter des eWeb Research Centers an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und gilt als einer der profiliertesten Handelsexperten im deutschsprachigen Raum. Neben mehr als 200 Fachbeiträgen verfasste er 15 Fachbücher zu den Themen Digitalisierung, E-Commerce, Online- sowie Multichannel-Handel.
FT: Herr Professor Heinemann, wie bewerten Sie die Chancen für Marken im digitalen Zeitalter?
Prof. Dr. Gerrit Heinemann: „Die Chancen sind wohl wesentlich größer als in der Vor-Internet-Zeit. Die digitalen Medien eröffnen Marken völlig neue Möglichkeiten. So kann man im Online-Marketing selbst mit Low-Budget-Ansätzen sowie geringen Investitionen sehr gut auf sich aufmerksam machen und schnell weitaus größere Reichweiten erzielen, als dies bis dato mit klassischen Marketingansätzen der Fall war. Allerdings erfordert der Umgang mit diesen neuen Kommunikationskanälen ein bestimmtes Maß an Intelligenz. Generell gibt es für die gesamte Bandbreite an neuen Optionen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt, sehr viele Beispiele zu nennen – sie reicht von Social Media beziehungsweise Influencer Marketing bis hin zu Suchmaschinenoptimierung. Den Marken bietet sich tatsächlich ein schier unglaubliches Spektrum an Möglichkeiten an, die es in dieser Form zuvor nicht gab. Diese stellen sich jedoch nicht als Selbstläufer dar, sondern erfordern viel Eigeninitiative, Biss sowie ein ständiges Weiterlernen und Optimieren – wie es zum Beispiel der ganz frisch eingeführte ,Mobile First‘-Index von Google verdeutlicht, der wieder gänzlich neue Optimierungsansätze für die Suchmaschine erfordert.“
Welche Herausforderungen oder auch Schwierigkeiten ergeben sich neben den Chancen?
„Heutzutage gibt es eine völlig neue Dimension der Transparenz, darauf haben Unternehmen sehr viel mehr zu achten. Es dürfen in der Kommunikation keine Fehler gemacht werden und wenn diese doch gemacht werden, was ja passieren kann, müssen diese auch zugegeben werden. Ein korrekter Umgang mit Fehlern ist erforderlich und wesentlich. Es kommt schlichtweg darauf an, dass Unternehmen oder Marken authentisch sind. Doch dies fällt vielen Parteien nach wie vor schwer. Hinzu kommt der internationale Wettbewerb. Insgesamt 53 Prozent der Online-Angebote allein auf der Amazon-Plattform kommen bereits aus dem Ausland – auch bei Bekleidung. Bemerkenswert ist die neue Shopping-App Wish, die als Zielgruppe unter 30-Jährige anvisiert und es innerhalb kürzester Zeit geschafft hat, fast 9 Milliarden US-Dollar an Handelsvolumen zu drehen. Das digitale Bekleidungsgeschäft präsentiert sich also als regelrechtes Haifischbecken. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen bin ich der Meinung, dass die gegebenen Chancen einmalig sind und durchaus ein starkes Gegengewicht darstellen.“
Wie sieht Ihrer Meinung nach das Fashion Business der Zukunft aus?
„Auch in Zukunft wird es einen hohen Bedarf an Bekleidung geben – davon gehen sehr viele Experten aus. Dies ist zunächst einmal sehr positiv zu werten, zumal es einige Branchen gibt, in denen die Nachfrage eher zurückgehen wird. Doch es gilt auch, die andere Seite zu sehen, die nämlich von einem extrem harten Wettbewerb geprägt ist. Der Bekleidungsmarkt übernimmt in vielerlei Hinsicht eine Vorreiterfunktion für andere Branchen, so im Hinblick auf die verfügbaren Angebotsformen, die neben der Digitalisierung auch die Vertikalisierung mit sich gebracht hat. Mit Blick nach Fernost sorgt die Plattform AliExpress derzeit als besonders aggressiver Anbieter für Aufsehen und erzielt hierzulande bereits weitaus größere Umsätze als gemeinhin angenommen. Die Shopping-App von AliExpress liegt hinsichtlich der Nutzerzahlen bereits auf Platz fünf in Deutschland, während es hierzulande keine deutsche Shopping-App unter die Top Ten bringt. Diese Erscheinung wird wohl keine Ausnahme bleiben. Ich denke, es ist davon auszugehen, dass der Bekleidungsmarkt in Zukunft noch aggressivere Angebotsformen – als heutzutage generell verfügbar – auf den Plan rufen wird.“
Chancen und Herausforderungen für Newcomer
24/7-erreichbare Produktionsbetriebe, digitale Vertriebskanäle, Social Media und Influencer – wie empfinden heutzutage Newcomer Brands ihren Start in das mittlerweile als sehr komplex geltende Fashion Business? Fashion Today hat bei COLOURS & CITIES, einem Hannoveraner Neustarter, sowie Pregis, einem jungen Schuhlabel mit Wurzeln in London und Portugal, nachgehört.
„Ich muss nicht mehr alle drei Monate um die Welt fliegen!“
Im Jahr 2016 fiel der Startschuss für das Hannoveraner Menswear-Label COLOURS & CITIES. Das Newcomer Brand versteht sich als Crowd-Design-Projekt, das über das Netz internationale Designer findet und fördert sowie aktiv in den Kollektionsschaffungsprozess einbindet. Die Gründer Falk Trunz sowie Mark Anacker geben Auskunft zum Thema digitales Business sowie der Idee hinter dem Brand.
FT: Wie beurteilen Sie das Fashion Business der heutigen Zeit?
„Für uns muss Mode Spaß machen, sie darf sich selbst auch nicht zu ernst nehmen. Dies vermissen wir zum Teil bei den großen und etablierten Anbietern. Im Großen und Ganzen versuchen wir, unseren eigenen Weg zu gehen und uns nicht den Zwängen der Fashion-Industrie zu unterwerfen. Wir wollen autark agieren und im besten Fall unsere eigenen Trends kreieren. Ob uns das zukünftig gelingen wird, werden wir sehen.“
Welche Vor- und Nachteile ergeben sich für Sie ganz konkret aus unserer durch das Internet geprägten Welt?
„Wir versuchen, uns auf die Vorteile zu konzentrieren. Diese umfassen sicherlich die relativ einfachen und schnellen Kommunikationsmöglichkeiten mit den Produzenten. Ich muss eben nicht mehr alle drei Monate um die Welt fliegen, es reicht aus, einmal im Jahr vor Ort zu sein. Alles Weitere kann beispielsweise über Videotelefonie abgehandelt werden. Darüber hinaus ist der Vertrieb über den Online-Shop eine super Sache. Allerdings sehen wir einen ausschließlichen Online-Vertrieb kritisch – der Online-Kanal muss vielmehr ein Vertriebskanal unter vielen sein. Vor allem an dieser Stelle haben wir zukünftig noch einiges zu tun. Social Media ist mit Sicherheit ein großes Thema. Doch auch hier merken wir, dass es nicht mehr so einfach ist wie beispielsweise noch vor fünf Jahren, große User-Gruppen schnell und einfach zu erreichen.“
Welchen Mehrwert wollen Sie mit Ihrer Marke schaffen?
„Den Mehrwert muss letztendlich jeder Kunde für sich selbst definieren. Wir hoffen und setzen alles daran, dass unsere Idee, ein Crowd-Design-Projekt, ein voller Erfolg wird. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Design-Studenten und Jung-Designern eine Plattform zu bieten. Sie können ihre Entwürfe unter eigenem Namen einreichen, diese werden dann unter dem Label COLOURS & CITIES produziert. Selbstverständlich nennen wir die Designer namentlich, wir beteiligen sie obendrein an den Verkaufserlösen. Wir wollen so eine Win-win-Situation schaffen, dabei sind wir sehr auf ein faires und freundschaftliches Miteinander bedacht. Getreu unserem Motto ,Never restrained by geographical borders!‘ bringen wir Designer aus der ganzen Welt zusammen und adaptieren deren Designs, beispielsweise auf T-Shirts, Poloshirts, Hoodies und Taschen. Wir sind mit einer Auswahl an Designern aus den Städten Hongkong, Miami, Tokio und Berlin gestartet. Jede Stadt wird nicht nur über entsprechende Designer und deren Designs repräsentiert, sondern auch durch eine eigene Farbe. So steht beispielsweise die Farbe Grün für Berlin. Letztendlich leitet sich daraus auch unser Labelname COLOURS & CITIES ab.“
„Influencer bestimmen, was angesagt ist!“
Designt in London, produziert in Portugal. Das Schuhlabel Pregis ist seit 2017 mit futuristisch anmutenden Premium-Sneakern auf dem Markt. Fernando Jorge Sampaio, Managing Director Pregis, erklärt, welche Herausforderungen aktuell im Vordergrund stehen und worauf es beim Start als junges Brand wesentlich ankommt.
FT: Welche Herausforderungen stehen für Sie im digitalen Zeitalter im Vordergrund?
Fernando Jorge Sampaio: „Es ist für ein junges Label von großer Bedeutung, dass man gesehen wird. Man muss auf den einschlägigen Messen unterwegs sein, Mailings rausschicken und auch in den sozialen Medien aktiv sein. Ich denke, dass sich die Situation heutzutage schwieriger gestaltet als noch vor zehn Jahren. Es hat damals noch gereicht, sich einfach nur auf einer Messe zu zeigen. Außerdem war der Gusto der Einkäufer viel ausschlaggebender. Das ist heute ganz anders. Das Business ist enorm vielen Einflüssen ausgesetzt. Influencer bestimmen, was angesagt ist. Das Geschäft ist dadurch viel weniger berechenbar geworden. Über Nacht kann ein Label plötzlich absolut hip sein, sich andererseits aber auch genauso schnell wieder im Abseits befinden. Man muss sich mit Nachsicht positionieren. Es ist eine regelrechte Gratwanderung, die man zu leisten hat.“
Wie gehen Sie konkret vor?
„Marken, die neu an den Start gehen, müssen sehr genau über den Zielkunden nachdenken. Das Design der Produkte spielt eine wichtige Rolle. Es geht essenziell um die Frage: ,Wer wird unser Produkt kaufen?‘. Wir haben uns im Premium-Segment angesiedelt, unsere Schuhmodelle laufen stilistisch in die Richtung von RAF SIMONS oder Acne. Es ist als Newcomer Brand sehr schwierig, sich bei einer guten Anzahl von Kunden zu positionieren. Die Budgets sind sehr straff gehalten, große Verkaufshäuser geben oftmals nur 10 bis 20 Prozent des Etats für die Kollektionen junger Marken aus. Nichtsdestotrotz sind wir aufgrund unserer umsichtigen Herangehensweise zuversichtlich.