„Im Moment macht ihr doch die sichersten Geschäfte.“

Traumjob Insolvenzverwalter

Dr. Biner Bähr (© White & Case)

Autor: Markus Oess

Manager vom FC St. Pauli oder Insolvenzverwalter. Für Dr. Biner Bähr gab es bei der Berufswahl nur zwei Alternativen. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt: Dr. Bähr hat TelDaFax, HERTIE und zuletzt auch GARDEUR betreut. Ein Job, der viel mit Verantwortung und mit viel Geld zu tun hat. FT hat den promovierten Juristen zu Siegen und Niederlagen befragt und wie er damit umgeht.

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Herr Dr. Bähr, Insolvenzverwalter sind beliebt wie Schimmelpilz, verdienen aber viel Geld. Klischee oder Wahrheit?
Dr. Biner Bähr: „Eindeutig Klischee. In Deutschland gibt es mehr als 2.000 Insolvenzverwalter. Die meisten sind Rechtsanwälte mit ganz normalem Geschäft. Nur in wenigen Ausnahmesituationen, insbesondere bei sehr großen Insolvenzverfahren, kann die Vergütung vergleichsweise hoch sein. Das ist dann aber auch notwendig, weil Verwalter, die diese Großverfahren beherrschen, stets einen großen Stab gut ausgebildeter Mitarbeiter vorhalten müssen. In meinem Düsseldorfer Büro beschäftigen wir etwa nur im Bereich ‚Insolvenzen‘ mehr als 50 Mitarbeiter.“

Was war Ihr Berufswunsch als Kind?
Für mich stand schon als 16-jähriger Jugendlicher fest, dass ich Insolvenzverwalter werden wollte. Ich komme aus einer Juristenfamilie. Mir war allerdings klar, dass ein Jurastudium für den Beruf des Insolvenzverwalters nicht ausreicht. Also absolvierte ich zunächst eine Lehre bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und hing dann ein BWL- und ein Jurastudium dran.“

Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet Insolvenzverwalter werden wollten?
Es gab damals einen Bericht im Wirtschaftsmagazin ‚Impulse‘ über den beruflichen Alltag eines Konkursverwalters, wie das zu dieser Zeit noch hieß. Der Gedanke an die Vielfalt der Herausforderungen und die Abwechslung, aber auch der Reiz dieser Aufgabe, Unternehmen wieder auf die Beine zu helfen und Arbeitsplätze zu erhalten, ließen mich nicht mehr los.“

Gäbe es eine Alternative zu Ihrem jetzigen Job?
Ja: Manager meines Lieblingsklubs FC St. Pauli. Mein Patenonkel, der in Hamburg lebte, nahm mich schon als Kind zu den Heimspielen mit und daraus wurde später eine Leidenschaft für den Klub, die bis heute anhält. Also bewarb ich mich nach Abschluss meiner Ausbildung, aber man wollte mich nicht.“

Wie läuft ein Insolvenzverfahren ab?
Meistens noch immer so, dass das Telefon klingelt und der Richter oder die Richterin am anderen Ende fragt, ob man den Fall übernehmen könne und wolle. Sagen Sie zu, haben Sie den Job. Dann heißt es alle Züge auf Stopp und Sie müssen die nächsten drei, vier Monate komplett neu planen, auch privat. In den ersten Wochen entscheidet sich das Schicksal eines Unternehmens. Da müssen Sie dranbleiben, mit aller Kraft. Es ist wie bei einer OP. Da kann der Arzt auch nicht das Skalpell aus der Hand legen und sagen: ,Ich mache nächste Woche weiter und fahre jetzt erst mal in den Urlaub.‘ Dazu ist der Job zu verantwortungsvoll.“

Bestimmt der Richter allein den Insolvenzverwalter?
Seit 2012 haben die Hauptgläubiger ein Mitspracherecht bei wichtigen Verfahren. Das ist gut und richtig, weil die Gläubiger in einer Insolvenz Geld verlieren. Dann sollen sie aber auch an wichtigen Entscheidungen beteiligt sein.“

Sie haben sehr viele Unternehmen in der Schieflage erlebt. Gibt es typische Fehlentwicklungen, die sich immer wiederholen?Tatsächlich sind in mehr als 90 Prozent Managementfehler Ursache für Insolvenzen. Ganz selten sind wirtschaftliche Schwierigkeiten nur durch externe Faktoren bedingt. Zum Beispiel wäre der Atomausstieg nach Fukushima für Unternehmen, die ausschließlich Atomkraftwerke herstellen, so ein Fall. Meistens liegt es aber an Fehleinschätzungen des Marktes durch die Geschäftsführung. Oft sind Geschäftsführer auch beratungsresistent und nicht in der Lage, sich ein vollumfängliches Bild von der Situation zu machen. Sie betrachten dann nur noch Teilaspekte. Sie laufen bildlich gesprochen nicht die ganze Runde, um alles zu sehen, und überschätzen sich. Es kommt auch häufig vor, dass Probleme zwar erkannt werden, aber nicht mit der nötigen Konsequenz angegangen und so lange verschleppt werden, bis sie sich nicht mehr lösen lassen. Etwa wenn Firmen erkennen, dass der Lebenszyklus eines Produktes zu Ende geht, aber Alternativen nicht mit dem notwendigen Nachdruck gesucht werden. Nicht selten bestehen in Unternehmen mit einer wirtschaftlichen Schieflage zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung auch erhebliche Spannungen. Das ist nicht eben förderlich, um zu konstruktiven Ergebnissen zu kommen. Meine Erfahrung ist, dass Unternehmen, in denen ein sozialer Konsens herrscht, widerstandsfähiger sind.“

Wer sorgt für die wirtschaftliche Expertise bei dem Ganzen, wen holen Sie dazu?
„Durch meine Studien und die lange Berufserfahrung habe ich mir ein breites und fundiertes Fachwissen angeeignet. Meistens kann ich die Probleme eines Unternehmens in sehr kurzer Zeit analysieren. In besonders schwierigen Fällen greife ich in Abstimmung mit den Hauptgläubigern auch auf externe Hilfe zurück, etwa indem ich Unternehmensberater hinzuziehe. Ich bilde mir nicht ein, alles selbst und am besten zu können.“

Ein Insolvenzverfahren dient auch dazu, ein Unternehmen in die Zukunft zu retten. Nicht immer gelingt das. Wie gehen Sie mit Risiken und Chancen um?
„Sie brauchen meines Erachtens drei Dinge, um in dem Beruf als Insolvenzverwalter erfolgreich zu sein: erstens eine sehr gute und breite Ausbildung. Ohne das nötige theoretische Rüstzeug sind Sie in der Praxis schlicht aufgeschmissen. Aus einem lahmen Ackergaul machen Sie kein Rennpferd. Zweitens: Einsatzwille und Flexibilität, sich schnell in neue komplexe Sachverhalte einzuarbeiten. Wie gesagt, entscheidend sind die ersten drei, vier Wochen und da müssen Sie voll in die Materie eintauchen, bereit sein, wochenlang auch bis tief in die Nacht hinein zu arbeiten. Ich spreche da nicht von 40- oder 50-Stunden-Wochen. Da ist meist mehr Einsatz erforderlich. Anders ist das Pensum oft nicht zu schaffen. Das sage ich auch immer wieder unseren jungen Mitarbeitern. Und drittens: Mut, Entscheidungsfreude und zugleich einen Instinkt für Risiken. Als Insolvenzverwalter sind Sie von einem Tag auf den anderen für alle Entscheidungen verantwortlich. Vom Geschäftsführer bis zum Abteilungsleiter will jeder Ihren Segen. Da stehen vielfach auch knifflige Entscheidungen an, etwa der Kauf von Rohware im Herbst in der Unsicherheit, ob das Unternehmen im folgenden Frühjahr überhaupt noch existiert und die Ware dann verkauft werden kann. Der Job eines Insolvenzverwalters ist extrem haftungsanfällig und die Risiken sind enorm.“

Aber es gibt Versicherungen?
„Natürlich, nur sind die teuer. Und Sie dürfen sich nicht allzu viele Schadensfälle leisten, dann stehen Sie schnell ohne Schutz da.“

Wie weit stehen Sie persönlich in der Haftung?
Im Gegensatz zu einem Geschäftsführer kann ein Verwalter mit seinem kompletten Vermögen haften, wenn man ihm einen Fehler nachweist. Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits muss man lernen, mit dem Risiko zu leben. Andererseits bringen einem die Gläubiger auch viel Vertrauen entgegen, weil sie um die Sorgfalt, mit der ich Entscheidungen treffe, wissen. Wenn ich etwa Bestellungen auslöse, können die Lieferanten sicher sein, bezahlt zu werden. Ich sage denen immer: ‚Was wollt ihr eigentlich? Im Moment macht ihr doch die sichersten Geschäfte mit dem Unternehmen.‘“

Sie haben dicke Brocken gehabt wie den Kaufhauskonzern HERTIE oder den größten deutschen unabhängigen Energieversorger TelDaFax. Konnten Sie in der Zeit noch ruhig schlafen? Schließlich ging es um viel Verantwortung und um viel Geld.
„Ich habe zum Glück einen gesunden Schlaf. Sicher nehmen Sie aber doch manches mit nach Hause – auch nach 20 Jahren. Mit der Zeit lernt man allerdings, damit umzugehen. Wie ein Arzt können Sie nicht alles an sich heranlassen. Sonst gingen Sie in dem Job kaputt.“

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Wie gehen Sie mit eigenen Fehlern um?
„Fehler macht jeder, auch ich. Entscheidend ist, dass man aus ihnen lernt. Wichtige Entscheidungen bespreche ich deshalb nicht nur mit meinem Team, sondern auch mit einem Gläubigerausschuss. Regelmäßig treffe ich hier auf insolvenzerfahrene Stakeholder, vom Banker über den Lieferanten bis hin zum Arbeitnehmervertreter. Eine Diskussion in solch einer Runde senkt die Fehlerwahrscheinlichkeit schon merklich.“

Was war Ihre größte Niederlage?
Jeder Verwalter, der größere Verfahren anvertraut bekommt, muss lernen, auch mit Tiefschlägen und Misserfolgen umzugehen. Das gehört einfach zum Job dazu. Am meisten beschäftigt mich, dass ich 2009 HERTIE nicht retten konnte. Ich habe lange Zeit nicht glauben können, dass der Gesellschafter und Eigentümer der Immobilien, der Private-Equity-Investor Dawnay Day aus London, kein Interesse an HERTIE als Mieter mehr hatte, mehr noch, die Kaufhäuser so schnell wie möglich leer ziehen wollte. Objektiv machte das überhaupt keinen Sinn, weil die Immobilien dadurch erheblich an Wert verloren. Im Ergebnis musste ich 3.400 Mitarbeitern kündigen und ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte beerdigen. HERTIE war von dem deutsch-jüdischen Kaufhausbetreiber Hermann Tietz im Jahr 1882 gegründet worden.“

Was war für Sie persönlich Ihr größter Erfolg?
Rein wirtschaftlich sicherlich TelDaFax. Hier konnten die Gläubiger zunächst mit gar keinen Rückflüssen rechnen. Heute steht fest, dass eine sehr ordentliche Quote auf die Verbindlichkeiten von etwa 1 Milliarde Euro ausgeschüttet werden kann. Unternehmen wie der Motorradbekleidungshersteller Hein Gericke, der Börsenmakler SCHNIGGE, der Möbelhersteller schieder oder auch der Hosenhersteller GARDEUR konnten erhalten werden. Vor Kurzem konnte auch das frühere Autoradio-BECKER-Werk in der Südpfalz von mir saniert werden. Nach einem mehrmonatigen Business-Model-Innovation-Prozess haben wir das Unternehmen mit ehemals 500 Mitarbeitern wieder auf die Beine bekommen, indem wir uns Unterstützung von der Universität St. Gallen holten und nach einem neuen zukunftsfähigen Geschäftsmodell gesucht haben. Heute stellt das Werk Ladestationen für E-Autos, sogenannte Wallboxes, her. Unter dem neuen Eigentümer Webasto konnten wir so 170 Arbeitsplätze retten und das Unternehmen baut inzwischen sogar wieder Stellen auf.“

Sind Insolvenzverwalter bei Arbeitnehmern beliebt? Stellenabbau gehört ja in aller Regel zu Ihrem Job?
Was heißt beliebt? Respektiert ist in dieser schwierigen Situation das bessere Wort. Wichtig ist, dass man sich von Anfang an Vertrauen erwirbt und mit den Arbeitnehmern ehrlich umgeht. Ich stelle mich deshalb auch grundsätzlich schon am ersten Tag vor die Belegschaft und erkläre, worum es geht. Dann kann ich zwar regelmäßig noch nicht viel sagen, weil die eigentlichen Arbeiten noch gar nicht begonnen haben. Die Mitarbeiter sollen aber wissen, dass ich ihre Sorgen ernst nehme und mein Team und ich uns sehr verantwortungsvoll um eine Lösung bemühen werden. Im Laufe eines Verfahrens informiere ich die Mitarbeiter deshalb auch laufend weiter.“

Wie gehen Sie auf die Belegschaft zu? Die Fehler begeht ja das Management und Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, müssen die Suppe auslöffeln.
Ich sage immer von Anfang an, was ich vorhabe. Ich sage gleichzeitig aber auch, dass ich etwas Zeit brauche, um mich im Unternehmen zurechtzufinden, und dass auch ich nicht zaubern kann. Ich spreche viel. Mit den Geschäftsführern, aber auch mit Führungskräften aus der zweiten und dritten Reihe. Hier erfahren Sie viele wertvolle Informationen. Ich tausche mich auch eng mit dem Betriebsrat aus und versuche, Entscheidungen im Konsens zu treffen und die Menschen mitzunehmen.“

Die Belegschaft, andere Gläubiger und das Management haben ja nicht unbedingt die gleichen Interessen. Abseits der Rechtslage – wie bringen Sie die alle unter einen Hut?
„Die Aufgabe eines Insolvenzverwalters lässt sich diesbezüglich mit der eines Mediators vergleichen. Ich muss in einer angespannten Lage, in der Betriebsrat, Geschäftsführung, Lieferanten und Kunden oft zerstritten sind, oft an verschiedenen Enden zerren, versuchen, den Geschäftsbetrieb wieder zu stabilisieren und das Unternehmen zu retten. In diesem Punkt sind alle Beteiligten meistens auch einer Meinung. Gestritten wird nur regelmäßig über den Weg dorthin. Hier ist es die Aufgabe eines guten Insolvenzverwalters, in vielen Gesprächen die unterschiedlichen Interessen auszuloten und sie dann zu einem guten Ergebnis zu bündeln.“

Wer wird bei den Unternehmen zum Verbündeten, wer zum Gegner?
Auch wenn solche Gedanken naheliegend sind, denke ich nicht in solchen Kategorien. Ich kann alle Beteiligten nur durch Argumente überzeugen.“

Wie viele der Unternehmen, die Sie aus der Insolvenz führen, schaffen es dann doch nicht, werden schließlich trotzdem innerhalb von zwei, drei Jahren liquidiert?
Das sind zum Glück nicht viele. Denn eine Sanierungslösung ist lange durchdacht, das Konzept und die Finanzkraft eines Investors sorgfältig überprüft und mit allen Beteiligten abgestimmt. Und dennoch kann es in Einzelfällen zu Folgeinsolvenzen kommen. Mir ist das etwa bei der Teppichfachmarktkette FRICK passiert. Diese stellte im Jahr 2012 einen ersten Insolvenzantrag, wurde von mir saniert und musste im Jahr 2015 erneut Insolvenz beantragen.“

Haben Sie noch Kontakt zu GARDEUR?
Nach dem Verkauf des Unternehmens an die Duijndam-Gruppe aus den Niederlanden Anfang Dezember 2017 habe ich keine operative Verantwortung vor Ort mehr. Das Unternehmen weiß ich aber in sehr guten Händen.

Die Textilindustrie steht immer noch vor Bereinigungen. Boom geht anders. Wie schätzen Sie generell die Lage der Textilbranche ein – gibt es besonders viele Insolvenzen oder ist das doch Alltag und man bekommt die Pleiten der anderen Branchen nicht mit?
Die Textilindustrie zählt im Moment sicher zu den insolvenzanfälligen Branchen in Deutschland. Ich glaube auch, dass das noch einige Zeit andauern wird. Viele Anbieter in Mittelpreislage hängen in der Sandwichposition und bekommen Druck von unten und oben. Eine klare Fokussierung auf Märkte und Marke fehlt manchmal. Tatsächlich erregen die Unternehmen, die es trifft, in der breiteren Öffentlichkeit aber auch nur mehr Aufsehen, weil Mode stärker emotionalisiert als andere Branchen.“

Mit welchen Problemen muss die Textilbranche besonders kämpfen?
„Ein immer wieder auftauchendes Problem ist natürlich die Vorfinanzierung. Modeunternehmen müssen Materialien oftmals in einem erheblichen Umfang längere Zeit vorfinanzieren. Da bedarf es einer soliden Kostendeckung und Durchhaltevermögen. Fehler in der Kollektion kann man sich kaum erlauben.“

Die Karriere

Dr. Biner Bähr, Partner von White & Case, betreut als Insolvenzverwalter, Sachwalter sowie Berater von Unternehmensinhabern, Geschäftsleitern, Kreditinstituten und Investoren angeschlagene Unternehmen bei ihrer Sanierung und der Umsetzung leistungs- und finanzwirtschaftlicher Maßnahmen. Bekannt wurde er besonders durch die Insolvenzen des Kaufhauskonzerns HERTIE sowie des Energieversorgers TelDaFax. Zuletzt kümmerte sich Dr. Bähr um den Mönchengladbacher Hosenspezialisten GARDEUR. Der Fachanwalt für Insolvenzrecht und Rechtsanwalt hat in Passau Jura studiert und promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zuvor schloss Dr. Bähr an der Wirtschaftsakademie Kiel sein Studium zum Betriebswirt (BA) ab.