In diesen Tagen feiert die IT-Fachmesse EuroCIS ihre Rekorde: Nie stellten mehr Firmen aus, nie kamen mehr Fachbesucher als in diesem Jahr. Die Messemacher und die Aussteller proklamierten ihr digitales Manifest. Rüstet der stationäre Handel nicht massiv auf, wird er in naher Zukunft wehrlos am Boden liegen und seine Waffen strecken müssen im Kampf um den Kunden. Er hat ihn gegen die Online- und Multikanalhändler verloren.
Tatsache ist jedenfalls, dass auf der Fläche mehr passieren und der Handel dem Verbraucher auch dort begegnen muss, wo dieser einkaufen will – im Laden oder eben digital. Es sind aber eher Großvertriebsformen und Filialisten, die von der Digitalisierung profitieren, wenn deren komplexe Prozesse automatisiert ausgesteuert werden und Kosten/Nutzen aufgrund der Größenvorteile anders zu Buche schlagen. Aber hilft es wirklich, das Befinden von förmlich allen Kunden zu scannen und nach der Analyse via App auf das Handy Botschaften zu senden? Mit dem Sammeln von möglichst vielen Kundendaten ist es nicht getan. Und auch die Analyse hilft nicht viel weiter, wenn im Ergebnis mit der emotionalen Ansprache auf der Fläche gemeint ist, systemgesteuert digitale Botschaften oder Events auf Menschen zu schießen, die im Zweifel gar nicht oder sogar genervt darauf reagieren. Handel bedeutet immer, Waren einzukaufen und mit Aufschlag zu verkaufen. Das setzt voraus, dass der Händler die richtigen Waren auf Lager hat. Dazu muss er seine Kunden, seine Bedürfnisse und vielleicht mehr noch seine Wünsche kennen. Zweitens muss er Menschen treffen, die die Waren auch kaufen. Das heißt, die Menschen müssen in die Läden kommen. Das passiert seltener. Also begegnet der Händler den Verbrauchern digital. Dann aber hat er ein Wahrnehmungsproblem. Denn das Internet bietet eine unendliche Menge an Informationen und Shoppingmöglichkeiten. Wenn der Kunde nicht weiß, wo er suchen soll, greift er auch im Internet auf Bekanntes. Und da sind die Machtverhältnisse inzwischen geklärt.
Also doch besser den Laden zum Kundenmagneten machen? Concept Stores sollen als Labor und Taktgeber zeigen, wie es funktioniert, und den Händlern neue Wege aufzeigen, auch im Systemwettbewerb zu bestehen. Doch spätestens an der Kasse schließt sich der Kreis. Die Menschen müssen in die Läden kommen und die Produkte müssen passen, sonst werden sie schlicht nicht gekauft. Die Individualität, der richtige Mix aus Angebot, Styling und Kundenansprache sind ein kreativer Prozess. Die digitalen Helfer können da sicher unterstützen, aber sie können einen guten Händler und ein gesundes Maß an Instinkt nicht ersetzen.
Um Profitabilität und Langfristigkeit machen sich auch die Hersteller viele Gedanken – die Ahlers AG mit ihrem breiten Portfolio ebenso wie die Spezialisten wie PRIME SHOES, C. Brühl oder TIMEZONE. Die Hersteller treibt die Frage um, wie sie sich in den Zeiten des digitalen Umbruchs aufstellen sollen. Und auch wenn sich die Firmen in Umsatzbedeutung, Geschäftsmodell und Produkt unterscheiden, haben sie eines gemein: Sie alle suchen den Schulterschluss gerade auch zum stationären Handel, sie alle wünschen sich auch mehr Inszenierung der eigenen und der Händlermarke und auch mehr Emotionalität auf der Fläche. Das sollte man nun nicht mit dem bewussten Verzicht auf Technologie verwechseln. Im Gegenteil, technologisch sollten die Händler schon auf der Höhe der Zeit sein, aber ein wenig mehr Mut und Bauchgefühl dürfen es denn schon sein.
Ihr
Markus Oess