Autor: Andreas Grüter
Galt der gute Anzug spätestens seit den 1960er-Jahren als sicheres Zeichen stockkonservativer bourgeoiser Langeweile ohne modischen Anspruch, so schickt er sich – konsequent reshaped und remodeled – jetzt an, der Jeans ihren Rang als revolutionäres Fashion-Item abzulaufen. Ein echter Paradigmenwechsel oder doch nur ein weiterer schneller Trend? Wir haben den New Fashion Deal näher unter die Lupe genommen.
Der Maler, Bildhauer und ausgewiesene Dandy Markus Lüpertz wusste schon in den 1990er-Jahren Bescheid, als er in Interviews den Casuallook ebenso provokant wie konsequent als die ultimative Uniformierung geißelte, die Jeans als bloße Arbeiterkost ümierung demaskierte und zum Tragen möglichst maßgeschneiderter Anzüge aufrief – als Zeichen der Selbstachtung. Verhallten seine Appelle nach mehr Stilbewusstsein anfangs nahezu ungehört, steht der Künstler mit seiner Meinung heute längst nicht mehr allein auf weiter Flur. Erst jüngst lästerte Derek Guy, Macher des einflussreichen US-amerikanischen Herrenmodeblogs „Die, Workwear!“, in seinem Rückblick auf das Jahr 2017 über das neue Zeitalter modischer Hässlichkeit, mit der die Fashionindustrie derzeit Konsumenten in die Läden locken möchte. „Es ist nicht das erste Mal, dass die Mode von Hässlichkeit besessen ist. Traditionelle Ästhetiken sind seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr angesagt, seit den Tagen, als Couturiers und Maßschneider die Eliten in Anzüge kleideten … Allerdings stellt sich die Frage nach dem Warum. Warum sollte jemand hässliche Kleidung tragen wollen? Warum sollte jemand darauf aus sein, nach Unterschicht auszusehen? Mode hat die Aufgabe, dich auch in schwierigen Zeiten besser erscheinen zu lassen, als es deine Situation eigentlich hergibt. Warum also sollte man sich dafür entscheiden, sich geschmacklos, billig und grässlich zu kleiden, vor allem, wenn man möglicherweise sogar noch ein paar Tausender für dieses ‚Privileg‘ hinblättern muss?“
The Return of Smart
Ist die neue Liebe zum gepflegten Anzug also nur folgerichtig? Bent Angelo Jensen, Mastermind hinter dem 1998 gegründeten Label HERR VON EDEN, hat dazu eine klare Meinung: „Das Thema Anzug wird schon längst nicht mehr als uncool angesehen. Was früher als gesellschaftlicher Zwang abgelehnt wurde, ist nicht zuletzt durch TV-Serien wie Mad Men oder Schauspieler wie den James-Bond-Darsteller Daniel Craig wieder aktuell, wird dabei aber wesentlich spielerischer und modischer angegangen. Der Lebensstandard steigt und der Anzug gehört einfach wieder mit dazu. Das ständig wachsende Angebot an Anzügen selbst bei H&M und Co spricht da Bände.“ Die Entwürfe des Hamburgers sind äußerst hochwertig, dabei aber in Sachen Stoffe, Detailing und Musterspiel betont extravagant. Zu seinen Kunden zählen Schauspieler wie Udo Kier, Ulrich Tukur und Robert Stadlober ebenso wie Musiker wie Rocko Schamoni, Jan Delay und Chilly Gonzales. „Ich wollte selbst immer Musiker werden. Dazu hat es nicht gereicht, deshalb ziehe ich heute Musiker an. Typische Businessleute kaufen bei mir eigentlich nicht ein.“ Ist dem Anzug über den Weg der Popkultur also die Revolution gegen den Casuallook bereits gelungen?
Sportswear versus Suit
Der Designer Joachim Kern, der mit seinem Label joaH kRaus das Sujet vor allem über die Form und die Nutzung von klassischer Baumwolle bearbeitet, hat dazu ein durchaus ambivalentes Verhältnis. „Nach 30 Jahren Sportswear-Dominanz ist der Anzug gerade für Jüngere natürlich neu und interessant, zumal er ja nicht mehr an die alten Konventionen gebunden ist. Gleichwohl denke ich, dass die wenigsten dabei Wert auf die Perfektion legen, die das Thema eigentlich einfordert. Die meisten Anzüge, die heute über die Ladentheke gehen, sind billige Standards von der Stange und werden zumeist von jungen Männern aus der Dienstleistungsbranche getragen. Der Look mag auf den ersten Blick zwar angesagt und trendig sein, letztendlich handelt es sich dann aber doch nur um Arbeitsbekleidung. Dabei bietet sich gerade ein auf den Punkt gesetzter Anzug als ultimatives Statement gegen das modische Einerlei auf der Straße an.“ So weit geht nach Einschätzung des Kölners jedoch nur eine kleine Gruppe von enthusiastischen Ästheten, die sich zumeist aus dem Kunst- und Kulturbetrieb rekrutieren.
Machs für dich selbst!
Der Berliner Günther Krabbenhöft, von der Huffington Post offiziell zum „The World’s Most Fashionable Grandpa“ gekürt, pflegt eine lange Liebe zur Mode im Allgemeinen und zum Anzug im Speziellen. Mit mittlerweile über siebzig Jahren arbeitet er nicht nur als Model, sondern ist auch eine echte Stilikone. Seine Suits sind ausnahmslos maßgeschneidert – nicht aus Snobismus, sondern weil das Gros der Anbieter nach wie vor auf die gleiche unsexy Grauware setzt wie schon in seiner Jugend. „Es gibt so viele schlechte und langweilige Anzüge, dass es mich überhaupt nicht wundert, dass das Ding immer noch irgendwie unbeliebt ist. Meine Anzüge brauchen den besonderen Twist. Scharf müssen sie sein und scharf müssen sie sitzen. Ein spezielles Muster hier, ein feines Detail da und natürlich dürfen die passenden Accessoires wie Einstecktuch oder Schal nicht fehlen. Das Wichtigste aber ist die Haltung, mit der man seine Kleidung trägt, und da ist bei Männern leider noch viel Luft nach oben. Ich mag Menschen, die sich mit ihrem Stil dezidiert auseinandersetzen, und würde mir wünschen, dass mehr Männer ihren Weg aus dem Kindergarten ‚Casualwear‘ ins Charakterfach ‚Anzug‘ finden würden.“