Autor: Nina Peter
Wenn für manche Fashion Victims Mode irrtümlicherweise zur Religion geworden zu sein scheint, während Religion für die junge Generation irgendwie aus der Mode gekommen ist, ist es vielleicht der richtige Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme.
So individualisiert unsere Gesellschaft in ihren Ansichten und Werten auch sein mag, die Grenzen zwischen Religion und Mode sollten weder verschwinden noch die Bedeutung beider verwechselt werden. Mode und Religion sind Begriffe, die seit Jahrhunderten die Menschheit prägen, und das in den unterschiedlichsten Kulturen, Erdteilen und Ethnien. Beide sind fest in unserer Geschichte verwurzelt und häufig sagt eine besondere Wahl der Bekleidung unverkennbar etwas über die geistige Haltung eines Menschen und seine Religionszugehörigkeit aus. Nicht jeder kann auf der Straße erkennen, ob sich sein Gegenüber eher von Gothik oder Grunge hat modisch inspirieren lassen. Jedoch einen buddhistischen Mönch von einem Muslim unterscheiden können die meisten bereits auf den ersten Blick – und das aufgrund des Schnittes, der Farbe, der Form und Silhouette der Kleidung. Ob man diese im engeren Sinne als Mode bezeichnen kann, ist allerdings fraglich; denn sie ist natürlich weitaus beständiger als ein Trend. Soziologisch betrachtet wird hingegen jede Kleidung als „Mode“ bezeichnet, die die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe signalisiert, also auch religiöse Kleidung. Dass inzwischen beispielsweise muslimische Frauen ihr Kopftuch auch mit Sneakern kombinieren, zeigt durchaus, dass religiöse Haltung und ein Bewusstsein für Mode und Stilempfinden sich in unserer Zeit nicht mehr grundsätzlich ausschließen.
Auf der Straße gelten jedoch noch einmal ganz andere Regeln als in den Kreisen der unmittelbaren Religionsvertreter. Liturgische Kleidungsstücke unterstehen durchaus einem strikten Regelwerk, denn schließlich sind sie eindeutige Indikatoren für die Rolle des Trägers innerhalb der Kirche. Aber auch in diesem konservativen Umfeld haben sich die Prinzipien gelockert. Die Anglikaner beispielsweise haben erst kürzlich ihre Vorschriften so weit abgelegt, dass das Halten der Messe auch in Sneakern und Alltagskleidung möglich wäre – die Begründung für diese neue Sichtweise liegt im allgemeinen Wandel der Gesellschaft.
Dass man so weit gehen muss, bezweifelt der Liturgieexperte Marius Linnenborn in einem kürzlich erschienenen Interview auf www.katholisch.de, dem Internetportal der katholischen Kirche. Für ihn ist die grundsätzliche Existenz von liturgischen Gewändern kein fragwürdiges Thema, eine durchaus berechtigte Frage ist hingegen die nach dem Stil, denn dieser darf und sollte sich ruhig an der aktuellen Zeit orientieren. Und diese Auffassung lässt sich auch auf der höchsten Ebene der katholischen Kirche erkennen.
Im Vergleich zu seinem eher traditionell orientierten Vorgänger Benedikt XVI. hat Papst Franziskus deutlich sichtbar eine gänzlich unkonventionellere Modeauffassung. „Eine arme Kirche für die Armen“, die er sich bei seinem Amtsantritt 2013 wünschte, vertrage sich nicht mit teurem Prunk. Und diese Haltung kommt dem aktuellen Stilempfinden und der Denkweise der heutigen Gesellschaft sicherlich näher – vielleicht bringt gerade deshalb Franziskus auch die Menschen in die Kirche zurück. Sein puristischer, kostengünstiger Stil färbt auch innerhalb der Kirche auf Kardinäle und Priester ab und macht konservativen Denkern das Leben nicht mehr ganz so leicht wie früher. Statt zu teuren Stoffen wie Seide und Kaschmir greift er lieber zu synthetischen Qualitäten und selbst an Hochfesten wie Ostern tritt er in einfachem Weiß statt in schimmerndem Gold auf.
Das, was man als stilistisches Downshifting innerhalb des Vatikans bezeichnen könnte, ist also durchaus eine modische Entwicklung innerhalb der Kirche und ein Anzeichen für einen stilistischen Tendenzwandel auf klerikaler Ebene.