Ein feiner, aber prägender Riss durch die Liaison
Die ewig knallverliebte Mode und die scheue Snobzicke Kunst sind ein Paar, wie es sich kein Schriftsteller besser hätte ausdenken können. Dass die beiden trotz „Beziehungsstatus: Es ist schwierig“ nicht voneinander lassen können, ist dabei längst nicht nur mit gegenseitigem Nutznießertum oder der gemeinsamen Leidenschaft für das Wahre und das Schöne zu erklären.
Es ist ein feiner, aber prägender Riss, der durch die Liaison geht. Hier die Fashion, bei der bei aller Lust am Experiment die produktive Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht, dort die freigeistige Kunst, deren Wert vor allem an der Einzigartigkeit des Werks gemessen wird. Und doch, so scheint es, ist die gegenseitige Anziehungskraft auch viele Jahrzehnte nach dem ersten Tête-à-Tête ungebrochen. Das beweisen nicht nur unzählige Kollaborationen, sondern auch eine Vielzahl von Protagonisten beider Lager, die sich an der jeweils anderen Disziplin versuchen. Bereits zur vorletzten Jahrhundertwende etwa entwarf der belgische Jugendstilkünstler Henry van de Velde für seine Frau ein Kleid, das ohne einengendes Korsett – zur damaligen Zeit ein modisches Muss – auskam. Ihm folgten Künstler wie Sonia Delaunay, Giacomo Balla und Andy Warhol, während Designer wie Karl Lagerfeld, Helmut Lang und Henrik Vibskov ihre Arbeiten heute längst nicht mehr nur als Kleidung in Shops, sondern auch als Kunst in Galerien und Museen präsentieren.
Das große Win-win-Theorem
Wurden Zusammenarbeiten zwischen Kunst und Mode, wie etwa die zwischen der Couturière Elsa Schiaparelli und dem Surrealisten Salvador Dalí, lange als gesellschaftliches Spektakel mit großem kulturellen Nachhall gefeiert, gehört der Einkauf von Künstlern heute zum Tagesgeschäft im Fashion-Marketing und hat mithin viel von seinem ursprünglichen Glanz verloren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Kollaboration häufig eine reine Auftragsarbeit ist. Sprich: Der Künstler, mit dem man sich gerne schmücken möchte, liefert Grafiken, Muster oder Formen und wird anschließend in PR-Mitteilungen gefeatured, hat aber im weiteren Prozess kaum bis gar kein Mitspracherecht. Der Mehrwert, vor allem für Nachwuchskünstler, liegt dabei in der Hoffnung auf eine Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades. Dass es aber auch heute noch ganz anders gehen kann, beweist Lina Miccio, ehemals Head of Communication bei REPLAY Deutschland. Das von ihr gegründete Label Speaking Garments ist jüngst mit einer streng limitierten und durchnummerierten Shirt- und Sweaterserie gestartet, die zusammen mit dem Kölner Künstler Michail Pirgelis entwickelt wurde.
„Ich beschäftige mich bereits seit einigen Jahren mit dem Sammeln von Kunst und hatte Michail natürlich auch auf dem Schirm. Er schickte mir irgendwann Bilder eines Flugzeugfriedhofs in der Mojave-Wüste, auf dem er für ein Projekt arbeitete, und ich war begeistert, wollte unbedingt mit ihm etwas zusammen machen, und weil ich aus der Mode komme, bot es sich an, ein Label zu gründen. Er hat nach einigem Überlegen zugesagt und ich habe ihm alle Freiheiten gelassen, Speaking Garments No. 1 zu seinem Projekt zu machen. Sprich: Er hat vom Printmotiv und der Shirtfarbe über die Verpackung, die Anstecker aus Flugzeugfragmenten und die Zertifikate bis hin zur Website und den Vertriebswegen alles in der Hand. Bei Speaking Garments geht es um den Künstler und seine Interpretation von Kleidung, und da wird es erst interessant, wenn man jenseits kommerzieller Gesichtspunkte auf Augenhöhe arbeitet“, erzählt Miccio. Ist Speaking Garments also schon Kunst oder doch noch Mode? „Ich würde es künstlerisches Projekt nennen. Den Rest überlasse ich aber gern dem Auge des Betrachters.“
Die Angst des Künstlers vor der Mode
„Die Kunstwelt ist ziemlich snobistisch und es gilt nicht als besonders chic, sich als bildender Künstler allzu sehr mit der Mode abzugeben“, erklärt die britische Malerin Martha Parsey. Dabei, so fügt sie hinzu, seien die meisten Künstler eigentlich hochinteressiert an modischen Entwicklungen. Ihre eigenen Arbeiten sind handwerklich traditionell, aber immens von der Popkultur und dabei vor allem von den Werken von Modefotografen wie Juergen Teller und Ellen von Unwerth inspiriert. 2014 realisierte sie zusammen mit der Kölner Modedesignerin Fenja Ludwig einige Fashionstyles für deren Moving-Canvas-Projekt. Ein Sprung über Grenzen? „Eigentlich kaum. Ich fand die Idee, dass meine Kunst sich als Kleidung bewegt, super. Allerdings hätte ich nicht mitgemacht, wenn es keine echte Zusammenarbeit gewesen wäre und ich Fenjas Stil nicht gemocht hätte.“
Auf Augenhöhe agieren und eine gegenseitige Wertschätzung ohne aufs schnelle Geld zu schielen, das scheint der Brückenschlag zu sein, der eine Kollaboration für beide Seiten attraktiv macht. Davon ist auch Gregor Thissen, CEO des in Brüssel ansässigen Herrenmode-Traditionshauses mit deutschen Wurzeln, überzeugt. Sein Unternehmen ging 1971 eine Zusammenarbeit mit Salvador Dalí ein, in deren Rahmen der Spanier alte Meister aus dem Louvre zur Vorlage nahm und mit seiner Vision der Mode des Jahres 2000 neu interpretierte. Basierend darauf entwarf das Unternehmen Stoffe, die an die Farben und Dessins des Meisters angelehnt waren. „Das war ein echtes One-of-a-kind-Projekt. Dalí war ein Dandy, ein echter Fashionista und hat durch diese Zusammenarbeit auch bei uns seine Spuren hinterlassen. Wir sind grundsätzlich offen für ähnliche Kollaborationen, aber es muss menschlich ebenso passen wie künstlerisch und der kommerzielle Aspekt sollte nicht im Vordergrund stehen.“