Autor: Winfried Rollmann
Man kann über Pitti Uomo denken, was man will, die Florentiner Leistungsschau versammelt bis heute die internationale Crème de la Crème der Entwickler, Einkäufer und Ästheten der Menswear. Das Bild aus der Vielzahl der vorgestellten Kollektionen und pointierten Fashionshows zeigt im Detail den Shift, wohin sich Menswear weiterentwickelt. Wer sich die Zeit zur Full Immersion nimmt, kann den Puls der Zukunft fühlen. Wir waren für Sie unterwegs und fassen unsere Erkenntnisse für Sie zusammen.
Shirtology
Formal Menswear tut sich immer schwerer, den Contemporary Spirit der Moderne ins Textile zu übersetzen. Alles, was zu gebacken und stiff daherkommt, ist kontraproduktiv. Pitti gibt daher Shirtjackets und Co eine neue Hauptrolle. Altea zeigt zum Beispiel mit geraden Hemdjacken, den „Shackets“, wie lässige Smartness aussehen kann. BRUNELLO CUCINELLI bringt eine ultraleichte Saharienne-Jacke als Alternative. LARDINI kultiviert sogar deren Kurzarmform. Federico Curadi zeigte in seiner Modenschau während der Messe, wie ein Shirt Flow die ganze Silhouette lockerer zeichnet. Exzellent auch die tonigen, erdigen und neutralen Töne, die weiteren Hosen und relaxten Layers eine große Selbstverständlichkeit geben. Bei den Materialien versteht sich eine befreiende Leichtigkeit von selbst. Der ultimative Schuh dazu sind die an den Fersen offenen Slipper, wie sie Pantofola d’Oro zeigt.
Ein neues Highlight für Männer wird das Kurzarmhemd. Ja, Sie haben richtig gelesen. Was bis vor Kurzem ein No-Go war, passt perfekt ins neue Bild. Es ist das gerade Hemd Typ „Bowling“-Shirt mit Reverskragen, das an wärmeren Tagen selbst Jackenersatz wird. Der Chefdesigner von CALIBAN und TINTORIA MATTEI, ein ausgewiesener Hemdenexperte, entwickelt selbst für smarte Semi-Businesshemden Krägen mit angeschnittenem Steg.
Sport Contamination
Der zweite Treiber der Menswear bleibt Sport. Sneaker, Caps und Tracksuits geben Suiting eine Street Credibility. Der Sportfaktor ist nicht mehr so vordergründig wie in Vorsaisons, sondern deutlich smarter. So ist die gezippte Tracksuit-Jacke heute eher aus Fine Knit denn aus Nylonjersey. Die Joggingpant wird eher zur Randerscheinung. Sportstreifen und ein vitales Colouring, wie es Tommy Hilfiger inszeniert, sind zielführend. Bold Streifen und ein markantes Colourblocking erinnern an Hip-Hop und 1990er.
Performance ist ein starkes Argument der Modern Menswear. Ob die Traveller Suits bei Z Zegna, die „Drynamics“ bei DRYKORN, Ultralight Rainwear bei RRD oder die spezielle Biking Outerwear bei HERNO, Funktion bleibt essenziell für den Urban Mover. Deutsche Anbieter wie bugatti punkten mit dem Flexcity-Konzept, DIGEL mit Move. PAOLO PECORA baut seinen Mailänder Smart Style intelligent über Jersey und Knit auf, Montecore überzeugt mit federleichten, ultramatten Nylonhüllen. Bei Sneakern sorgen gestrickte Styles wie bei Superdry oder bugatti für ultimativen Komfort.
Tennis Club
Traditionelle Sportarten wie Tennis waren immer schon ein gutes Argument für ein Preppy Summer Feeling. Diesen Sommer inspirieren sie eine relaxte stilsichere Sportlichkeit. Perfekt die bold gestreiften oder karierten Blazer bei THE GIGI, gut auch die Zweireiher in 3-D-Geweben bei Boglioli oder die lässigen Piqué-Knitjackets à la Monsieur Lacoste bei altea. Der zweireihige Blazer gehört nächste Saison als Fashionargument zwingend ins Sortiment, er wird zum Must-have mit den neuen weiteren Hosen. Dazu sind Frottee-Sweats (Gran Sasso) oder Nicki-Polos (CLOSED) Trendsetter.
Streifen erleben diese Saison den echten Durchbruch. Drumohr sieht sie als Blockstreifen sowohl im Blazer als auch im Ringelstrick. Erfrischend sind sie in Riviera Brightness im Hemd zum Beispiel bei XACUS oder in präzisen volleren Streifen bei CALIBAN. Als Farbcode etabliert sich neben Navy, Rot und Weiß ein Racing Green. In Akzenten sind Gelb und als Newcomer ein kühles Viola (BRUNELLO CUCINELLI) mit dabei. Die Tennis-Sneaker sind als Trainers mit Leder-Uppers ein stilsicherer Begleiter zu zeitgemäß smarten Looks.
Natural Beauty
Authentische Natürlichkeit war ein starkes Argument in Florenz. Sie hat jedoch nichts mit Rustikalität im Sinn. Wenn Leinen und Co im Fokus stehen, dann stets verfeinert. Zeitgemäß lässig zeigt dies MAN 1924 oder im kolonialen Layering EAST HARBOUR SURPLUS. Mit Leinen und kernigen Cottons bekommen Weißnuancen, Flachstöne und stille Brauns einen neuen Stellenwert. Bewegte Oberflächen bis hin zum Seersucker, wie bei HAMAKI-HO, und Leinen-Knit (ROBERTO COLLINA) sind echte Aufsteiger. Eine wärmere Farbskala von Ocker, gebrannten Rots und vegetalen Grüntönen bringt neuen Fashionappeal. Sie werden zur echten Alternative der Blautöne und geben Händlern dringend benötigte neue Farbargumente.
Natürlichkeit im Contemporary Mood zeigt LAB PAL ZILERI beispielhaft, indem er urbane Sportlichkeit modern dazu mischt. Bei HERNO werden Cottonparkas mit futuristischer Silberfolie zukunftstauglich.
Leinensuits, bei denen der Handel im Norden bisher eher abwinkt, werden in hochgedrehten Crêpe-Garnen und in intelligenten Mischungen mit Cotton oder Wolle durchaus businesstauglich. Auch bei Strick ist Leinen im Kommen. Waren Leinen-T-Shirts auch jetzt schon gut, macht Leinen nun auch in Pullovern eine gute Figur. Bedruckte Garne und Ringel in gebrannten Leinentönen, wie bei ROBERTO COLLINA, sind top.
Man at Work
Eine Key Inspiration für Casuals ist Workwear. Fatigues, die geraden Workerpants mit aufgesetzten Taschen (PT 01), oder Workwearjacken und Westen sind die modische Steilvorlage. CLOSED hat eine spannende Kollaboration mit dem französischen Workwearlabel VETRA im Programm. Die Hamburger nutzen das Workwear-Know-how der Franzosen und finishen die Teile dann in ihren kreativen italienischen Wäschereien. Die Teile werden als Unikate zur relaxten Urbanwear gemischt. Authentische Workwear der Hafenarbeiter auch bei CAPTAIN SANTORS. Barena kultiviert in seinen neuen Overshirts eine filigrane Landscape-Printstory. Bei den Drucken sehr fantasievolle Neo-Camouflages, die bis hin zu abstrakter Malerei verfremdet werden (Christopher RAEBURN x Save The Duck).
Indigo bleibt Ausdruck tougher Authentizität. Hellere Waschungen und deutlich weniger trashige Finishes als Essenz (haikure). Die italienischen Ateliers inspirieren japanische Denims zu Denim Suiting bei BOGLIOLI oder zur Denim-Bundfaltenhose bei ENTRE AMIS. Bei Indigohemden mehr Fantasie mit Stickereien und floralen Pigmentprints auf Leinen.
Das Thema Nachhaltigkeit ist auch in Florenz immer präsenter. Umweltschonende Jeansfinishes mit Laser (CLOSED) sparen Wasser und das Polyesterrecycling steht bei Outdoor-Kollektionen, wie Save The Duck, derzeit hoch im Kurs.
Expressionism
Mode hat ihre Selbstberechtigung stets auch über ihr Show-off definiert. In Zeiten von Instagram und egozentrierter Imagebildung gewinnt der starke visuelle Auftritt auch für Männer an Bedeutung.
Florenz nimmt sich das zu Herzen und zeigt in einer Print-Invasion bei Hemden mehr Fantasie denn je. Analog der Pitti-Headline „BOOM, PITTI BLOOMS“ verbreiten vitale Flowerprints bei ETON, SAND oder VINCENZO DI RUGGIERO Optimismus. Im jüngeren Marktsegment bringen Acid-Pastelle bei DRYKORN oder FRANKLIN & MARSHALL die Frische.
Prints haben hier deutlich mehr Ironie, wie die Eis-am-Stil-Patterns von PS BY PAUL SMITH oder Pop-Fantasien bei ETON. Mode ist Spaß und den leben junge Männer in ihren Looks heute deutlich fantasievoller aus. Dazu gehören charakterisierende Accessoires, wie die frische expressive Grafik in den Tüchern und Schals von Broska, die ethnisch angehauchten Strohhüte von SuperDuper oder von DANIELE ALESSANDRINI.
Zum ultimativen Sommer-Statement werden die bedruckten Bade-Shorts, die selbst bei seriösen Häusern, wie BORELLI und Paolo Pecora, zum Polo und lässigen Blazer gezeigt werden.