Autor: Andreas Grüter
In der Halfpipe erdacht, im Keller designt, in der Garage bedruckt und aus dem Kofferraum heraus verkauft: Streetwear war der Mittelfinger, den Skater und Surfer dem etablierten Fashionbusiness Ende der 1980er offensiv entgegenstreckten. Dass das Konzept der subversiven Unterwanderung – Professionalisierung hin oder her – auch 30 Jahre später immer noch funktioniert, beweist die Rückkehr der Szenelegende HOMEBOY. Fashion Today sprach mit Labelgründer Jürgen Wolf über das Gestern, Heute und Morgen und das Konzept der Soulfulness.
FT: Streetwear-Veteranen haben immer ganz eigene Geschichten zu erzählen. Wie geht deine?
Jürgen Wolf: „Wahrscheinlich ähnlich wie die der anderen und mit ziemlicher Sicherheit doch ganz anders. Ich bin 1960 in Offenbach zur Welt gekommen. 1974 bekam ich ein oranges Plastikskateboard geschenkt und ungefähr zur gleichen Zeit habe ich in der TV-Kinderserie ‚Flipper‘ das erste Mal jemanden gesehen, der im Wetsuit und mit einem Surfbrett unterm Arm ins Meer gesprungen ist. Ich glaube, das war die Basis, auch wenn mir das damals noch nicht bewusst war. Drei Jahre später tauschte ich das Plastikbrett gegen ein G&S Fibreflex und belegte – ziemlich beeindruckt von einem Surfer auf dem Münchener Eisbach – einen Windsurfkurs in Österreich. Und damit änderte sich dann wirklich alles.“
Inwiefern?
„Ich wurde zunächst zur Freude meiner Eltern Immobilienkaufmann, war aber zu angefixt von Brettern und habe den Büroalltag natürlich nicht ausgehalten. Irgendwann tauschte ich schließlich Anzug und Lederschuhe gegen Boardshorts und Flip-Flops und fing an, in einem Windsurfshop zu arbeiten. Das war zu der Zeit ein echtes Statement – mein Vater sprach ein halbes Jahr nicht mehr mit mir.“
Wie kamst du denn dann zur Mode?
„Wir haben für den Laden regelmäßig Windsurfboards aus Hawaii geordert und immer wieder Shirts dazubekommen, die uns auch von Nichtsurfern aus den Händen gerissen wurden. Mit 25 hatte ich eine ordentliche Sinnkrise und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Nur im Laden zu stehen war mir zu wenig, aber eine Alternative sah ich auch nicht, bis mir die Idee kam, selbst Shirts zu bedrucken. Zu der Zeit waren diese ganzen ‚Miami Vice‘-Türkistöne angesagt und ich bin einfach zu Trigema gefahren, weil ich dachte, solche Shirts haben die auf jeden Fall auf Lager. Um es kurz zu machen: Es gab Schwarz, Weiß, Grau und noch ein paar andere langweilige Farben und das war es dann. Kurze Zeit später nahm mich ein Bekannter mit auf Geschäftsreise nach Miami, um Wasserskiboote zu kaufen, und am letzten Tag habe ich dann doch noch einen Produzenten gefunden, der die passenden Tees hatte.“
Liefen die ersten Shirts schon unter „HOMEBOY“?
„Nein, unter X-T’s. Ich habe die Grafiken entworfen, die Shirts in einer Druckerei um die Ecke bedrucken lassen, mir dann aus Surfmagazinen Shops rausgesucht und die abtelefoniert. Mit dem Ergebnis, dass niemand Interesse hatte. Das erste Jahr war ein absoluter Horror und ich war mehr als einmal drauf und dran, alles hinzuschmeißen. Mit meinem Ministand auf der Ispo kam dann doch noch die Wende.“
Du hast aber auch US-Skate- und -Surfbrands vertrieben. War das zur gleichen Zeit?
„Ja, AIRWALK und Town & Country und das in den ersten beiden Jahren zusammen mit TITUS. Dann auch Sims Snowboards und meine eigene Mountainbike Marke Cycle Craft und die Action Sport Marke OBG – Original Battle Gear. Ich war auch an STÜSSY dran, hat aber nicht hingehauen. Ich fand, diese ‚Echte Streetwear muss aus den USA kommen‘-Haltung eh ziemlich blöd und so habe ich 1988 die erste HOMEBOY-Kollektion entworfen und sie den Vertretern als heißen Scheiß aus New York verkauft. Die Teile liefen super, aber natürlich gab es anfangs böses Blut, als ich die Karten schließlich auf den Tisch legte.“
Das Label ist dann ziemlich schnell gewachsen …
„Ja, wir versorgten den damals 18-jährigen Rapper Moses Pelham mit Klamotten, sponserten Die Fantastischen Vier noch vor ihrem Durchbruch, warben einige Jahre später mit Wu-Tangs Ol‘ Dirty Bastard und mischten ordentlich in der frühen House- und Technoszene mit. Ende der 90er waren wir in 36 Ländern vertreten und fuhren einen Umsatz von 50 Millionen Deutschmark ein. 2000, vier Wochen vor unserem geplanten Börsengang, kam es dann zum großen Finanzcrash. Die Banken wollten ihr Geld zurück, ich konnte nicht zahlen und ein paar Tage später war HOMEBOY Geschichte.“
Was hast du danach gemacht?
„Ich habe funktional-modische Arbeitsbekleidung für ein Unternehmen entworfen. Nicht so aufregend wie das ganze Streetwear-Ding, aber ich mochte das Bodenständige daran.“
2015 war HOMEBOY dann plötzlich wieder da. Wie kam es dazu?
„Mein Sohn Julian ist bei uns im Keller über die Reste des Labels gestolpert. Ein paar Shirts und Sweater, die ich noch aufbewahrt hatte und die er zum Ausgehen anzog. Er hat mir dann erzählt, wie viele Leute ihn auf die Teile angesprochen haben, und wollte HOMEBOY unbedingt wieder an den Start bringen. Ich habe mich schließlich überreden lassen, allerdings unter der Bedingung, das Ganze klein und persönlich zu halten. Auf keinen Fall mit großem Lager, dickem Büro und Vertriebsteam, sondern eher so wie in den Anfangszeiten. Der Status quo ist ein Homeoffice mit Warenwirtschaftssystem, alle zwei Monate ein paar neue Styles, die wir innerhalb von acht Wochen an ausgewählte Kunden wie Stylefile, TITUS und engelhorn ausliefern. Und als Neuzugang Alexander Haß, der ehemalige Country Manager D-A-CH bei Lee, der sich ein bisschen um den Vertrieb kümmert. Und das ist HOMEBOY 2.0. Julian geht genauso göttlich naiv an die Sache heran wie ich damals. Ob die Zusammenarbeit mit einem Klub oder DJ oder eine Kollabo wie zuletzt mit den Jungs vom ‚Dandy Diary‘-Blog: Bei ihm passiert alles instinktiv und komplett aus dem Bauch heraus. Einfach auf Basis von Sympathie und das ist der echte Spirit und macht mich ziemlich stolz.“