Autor: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Der deutsche Einzelhandel hat es nicht leicht. Neben nicht enden wollenden Wetterkapriolen erschweren steigende Mieten und ein stetig zunehmender Konkurrenzdruck das Geschäft. Billigmodeketten haben im großen Stil Einzug in die Innenstädte gehalten. Noch dazu boomt der Online-Handel. Vor allem in Mittel- und Unterzentren nimmt die Situation mitunter dramatische Züge an.
Prognosen zufolge sollen bis Ende 2020 rund 50.000 stationäre Einzelhandelsgeschäfte ihre Ladentüren schließen (Gruninger-Hermann, Christian (2017): Zukunft der Innenstädte? – Auswirkungen zunehmender Online-Käufe auf den stationären Einzelhandel und die Innenstädte, Working & Discussion Paper, DHBW Lörrach, No. 1). Als Ursache steht der bereits viel gescholtene Online-Handel im Vordergrund, doch auch weitere Faktoren spielen für diese Entwicklung eine Rolle. Neben Online-Shops haben speziell kleine Einzelhändler in Unter- und Mittelzentren mit Discountern und ihren immer breiter gefächerten Sortimenten um Frequenz zu kämpfen. Nicht zu vergessen sind in dieser Hinsicht auch die Oberzentren, die mit dem Angebot großer Einkaufshäuser und zahlreicher preisgünstiger Filialisten geradezu wie Magneten auf Konsumenten wirken. Stefan Hertel, Pressesprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE), kommentiert: „Trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen bewerten viele kleinere Händler mit weniger als fünf Beschäftigten ihre Geschäftslage negativ. Hier überwiegen laut HDE-Frühjahrsumfrage pessimistische Zukunftserwartungen. Für das vom HDE prognostizierte Umsatzwachstum von 2 Prozent sorgen 2017 vor allem größere Handelsunternehmen. Mehr als die Hälfte der Einzelhandelsstandorte in Deutschland wird von einem Kleinunternehmen betrieben.“
Problemfaktor Bevölkerungsschwund
Speziell in ländlicheren Gegenden ist Bevölkerungsschwund ein Thema. Junge Menschen zieht es in die Großstädte, nicht selten setzt sich dadurch in kleinen Zentren eine regelrechte Abwärtsspirale in Gang. Eine geringere Frequenz in den Innenstädten zieht geringere Umsätze nach sich, darauf folgen Leerstände. Immobilienbesitzer sehen sich dank geänderter Nachfrage mit Erlösrückgängen konfrontiert – ebenso Dienstleistungsbetriebe wie Arztpraxen, Freizeit- und Kultureinrichtungen. Gemeinden und Städte müssen durch fehlende Wirtschaftstätigkeiten auf für sie wichtige Steuereinnahmen verzichten. Der Teufelskreis setzt sich fort: Weil Konsumenten durch Leerstände eine geringere Angebotsvielfalt und eine weniger attraktive Innenstadt erfahren, erhöht sich wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass sie für die kommende Einkaufstour schlichtweg das nächstgelegene Einkaufszentrum aufsuchen. Wie sehr ein breites Angebot als schlagendes Argument gilt, bestätigt Beate L. aus der ländlichen Gemeinde Wachtendonk: „Ich bin eigentlich zufrieden mit dem Angebot vor Ort. Glücklicherweise gibt es bei uns einen Bäcker, einen Supermarkt und ein Bekleidungsgeschäft, in dem Basics verfügbar sind. Auf einem Markt kann ich besonders frische Waren einkaufen. Nichtsdestotrotz zieht es mich für umfangreichere Besorgungen in den Nachbarort – einfach weil die Auswahl dort größer ist.“
Persönliche Beratung als Chance
Chancen für kleine Ladengeschäfte sieht der HDE in persönlicher Beratung und Schaffung nachhaltiger Einkaufserlebnisse. Unabdingbar sei dabei eine Verzahnung von stationärem Handel und Online-Geschäft. So präsentiert sich auch ein Surfshop in der Duisburger Vorstadt Rheinhausen mit seinem Angebot im Netz. Produkte finden online eine ausführliche Beschreibung, zudem kann man per Kontaktformular sogenannte „Hauspreise“ für einzelne Artikel erfragen, die auf der Website lediglich mit regulären Handelspreisen geführt werden. Man fühle sich zwar durch den Online-Handel nicht sonderlich unter Druck gesetzt, merkt der Inhaber des Geschäfts an. Allerdings lege man schon Wert darauf, online Präsenz zu zeigen, auch Kundenaktionen wie Jubiläumsfeiern mit Tombola seien wichtig. Hertel erklärt: „Der stationäre Einzelhandel muss sich spezialisieren und auf seine Stärken besinnen. Es geht um persönliche Beratung und ein nachhaltiges Einkaufserlebnis für Kunden. Das persönliche Gespräch und die enge Kundenbindung – auch über Events gefördert – gehören zwingend dazu. Außerdem müssen Geschäfte die Vorteile der Digitalisierung für sich nutzen. Denn die Zukunft des Handels ist die digitale Verzahnung zwischen stationärem Geschäft und Online. Immer mehr reine Online-Händler eröffnen deshalb auch stationäre Geschäfte.“
Politik in der Verantwortung
Das Unternehmen Yatego Local, das eine digitale Plattform für lokale Gewerbetreibende bietet, gab die Studie „Lokale Einzelhändler im digitalen Zeitalter“ in Auftrag und sieht in Sachen Online-Präsenz viel Nachholbedarf (Stand 08/2016). 83 Prozent der deutschen Verbraucher sei es wichtig, lokale Anbieter schnell und einfach im Internet zu finden. Lediglich 25 Prozent der deutschen Verbraucher seien zufrieden damit, wie sich lokale Anbieter im Netz präsentieren. Es werde in der heutigen Zeit von Konsumenten schlichtweg erwartet, dass jeder Anbieter zumindest Informationen über Öffnungszeiten oder Kontaktmöglichkeiten online bereitstellt, so Yatego Local. Bevor jedoch Einzelhändler aktiv werden können, müssen auch die technischen Voraussetzungen gegeben sein. Hertel ergänzt: „Der HDE setzt sich bei der Politik für mehr Investitionen in die digitale Infrastruktur und rechtliche Rahmenbedingungen ein, die einen fairen Wettbewerb aller Handelsformen ermöglichen. Die Politik muss dafür sorgen, dass kleinere Handelsunternehmen im Wettbewerb mit großen Online-Konzernen oder Internet-Plattformen nicht benachteiligt werden. Die Plattformbetreiber und Fulfillment-Center sollten genau wie jeder andere Händler für die Sicherheit ihrer Produkte und die korrekte Versteuerung der über ihre Seiten erzielten Umsätze geradestehen. Um die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen zu können, brauchen die Händler außerdem eine zeitgemäße Infrastruktur: flächendeckende Breitbandanschlüsse und freies WLAN. Die Politik muss jetzt handeln, damit der mittelständische Einzelhandel auch in Zukunft das Bild der Innenstädte prägen kann.“ Und auch Frank Putzmann von der Wirtschaftsförderung der Stadt Moers sieht eine Zusammenarbeit aller Beteiligten als essenziell an: „Entscheidend ist die enge Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, die die Stadtentwicklung steuern und begleiten. Dazu gehören die Verwaltung wie auch der Werbering als Vertreter der lokalen Einzelhändlerschaft und das Stadtmarketing. Ergebnis dieser Kooperation sind etwa Gründerwettbewerbe und Maßnahmen der Innenstadtgestaltung über die Immobilien- und Standortgemeinschaft oder die Hilfe bei der Implementierung von Multi-Channel-Konzepten.“
Initiative „Heimat shoppen“
Indes hat die IHK Mittlerer Niederrhein unter dem Titel „Heimat shoppen“ eine Initiative ins Leben gerufen, die Konsumenten wachrütteln und für das Thema regionaler Handel sensibilisieren will. Denn auch hier registriert man, dass Händler in Unter- und Mittelzentren zunehmend mit Umsatz- und Frequenzrückgängen zu kämpfen haben. Da es aufgrund des Online-Angebots immer weniger Gründe gebe, in die Stadt zu gehen, werde dort auch weniger verkauft, so Andree Haack, Geschäftsführer Existenzgründung und Unternehmensförderung. Discounter an Hauptverkehrsstraßen machten mit ihrem breiten Sortiment von Blumensträußen über Lebensmittel bis hin zu Bekleidung Umsätze streitig. „Heimat shoppen“ soll offensiv die Wichtigkeit des Handels vor Ort für eine höhere Lebensqualität aufzeigen. Denn wenn der regionale Handel einmal weggebrochen sei, beklagten dies stets viele Bürger. Putzmann stimmt zu: „Es gilt, die Identifikation mit der eigenen Stadt zu fördern. Dies kann über Veranstaltungen geschehen, allerdings müssen diese Qualität haben. Der inflationäre Gebrauch von Events aller Art ist eher kontraproduktiv. Ein erfolgreicher Ansatz ist der Aktionstag ,Heimat shoppen‘. Ein Format, das gegenüber der Bevölkerung effizient die Bedeutung lokaler Einzelhändler, Gastronomen und Dienstleister für eine funktionierende Stadtgemeinschaft herausstellt.“
„Offensiv und frech!“
In Zeiten von Online-Shops, Filialisten und Discountern gestaltet sich das Geschäft für Händler in Unter- und Mittelzentren besonders schwierig. Andree Haack, Geschäftsführer Existenzgründung und Unternehmensförderung bei der IHK Mittlerer Niederrhein, erklärt, wie die Kampagne „Heimat shoppen“ regionalen Anbietern aktiv unter die Arme greifen will.
FT: Herr Haack, wann haben Sie die Initiative „Heimat shoppen“ ins Leben gerufen?
Andree Haack: „Wir treffen uns regelmäßig mit Werbegemeinschaften in unserem IHK-Bezirk und wollten nicht immer nur darüber sprechen, wie angespannt die Lage im stationären Handel momentan ist, sondern auch einfach etwas tun! So sind wir im Frühjahr 2014 auf die Idee von ,Heimat shoppen‘ gekommen. Im Herbst 2014 haben wir dann erstmals Aktionstage umgesetzt. Ziel der Aktionstage soll es nicht sein, beim Kunden Mitleid für den Handel zu wecken. Der Handel soll an Aktionstagen ,offensiv und frech‘ zeigen, warum er so wichtig für die Lebensqualität vor Ort ist. Einerseits muss der Handel die Herausforderungen der Digitalisierung annehmen – was er auch macht. Andererseits muss beim Kunden jedoch auch für die Wertschätzung des Handels vor Ort geworben werden. Genau hier setzt ,Heimat shoppen‘ an.“
Wie unterstützen Sie regionale Händler konkret?
„Wir verstehen uns als Plattform, die mit der Aktion ,Heimat shoppen‘ den Werbegemeinschaften vor Ort ein Instrument an die Hand gibt, um für die Bedeutung des stationären Handels vor Ort zu werben. Wir sorgen für eine breite Medienpräsenz und geben zahlreiche Anregungen, wie Aktionen umgesetzt werden können. Zentraler Bestandteil ist unter anderem die Verteilung von kostenlosen Papiertüten und Flyern, um Breitenwirkung zu entfalten und die Marke ,Heimat shoppen‘ bekannt zu machen. Konkretes Ziel soll es sein, dass Händler zahlreiche Aktivitäten mit dem Logo ,Heimat shoppen‘ versehen, um deutlich zu machen, dass der örtliche Handel als Initiator hinter dem Engagement steckt. Wir arbeiten mit Werbegemeinschaften als Multiplikatoren zusammen. Wir haben 12.000 Händler in unserem Bezirk und 60 Werbegemeinschaften. Dank der guten Zusammenarbeit mit den Vorständen vor Ort können wir die Breite der Händler erreichen.“
Mit welchen Problemen haben Händler in Unter- und Mittelzentren vorrangig zu kämpfen?
„Mit Umsatz- und Frequenzrückgängen. Es gibt immer weniger Anlässe, in die Stadt zu gehen: Den Personalausweis beantrage ich online, meine Überweisungen mache ich über das Online-Banking und meine Versicherung hat ein klasse Online-Center. Hinzu kommen die mittlerweile sehr guten Aktionen der Discounter, die den klassischen Fachmärkten natürlich auch
Umsätze streitig machen. Blumen, Reisen, Bekleidung und vieles mehr können Konsumenten heutzutage beim Discounter an der Hauptverkehrsstraße kaufen. Das stellt unsere traditionellen Handelsstrukturen auf den Kopf.“
Wie schwierig ist die Situation angesichts Internet und Co einzuschätzen?
„Die Umsatzzuwächse im Online-Handel sind nicht mehr so dynamisch wie in den letzten Jahren. Man spürt allmählich eine Sättigung, zudem versteht sich der stationäre Handel mittlerweile darauf, den etablierten Online-Playern etwas entgegenzusetzen. Aus meiner Sicht steht der Online-Handel etwas zu sehr im Fokus der Diskussionen. Wenn Städte dem Handel helfen wollen, dann sollten diese Handelsentwicklungen (auch Erweiterungen) außerhalb der Zentren viel stärker reglementieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass möglichst viele öffentliche Einrichtungen und weitere Dienstleister wie Schulen, Ärzte und Behörden in den Kernlagen bleiben.“
Wie wichtig ist ein Umdenken bei den Konsumenten?
„Wir wollen den Konsumenten nicht ,oberlehrerhaft‘ erklären, wie wichtig der stationäre Handel ist. Denn es gibt sicherlich viele Beispiele dafür, dass Händler sich auch stärker den zeitgemäßen Kundenanforderungen anpassen müssen. Nicht umsonst bieten die IHK und die Handelsverbände diesbezüglich jede Menge Angebote. Fest steht aber: Spätestens wenn der Handel vor Ort weggebrochen ist, beklagen dies viele Bürger. ,Heimat shoppen‘ soll darauf aufmerksam machen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Kaufverhalten und der Lebendigkeit des regionalen Handels gibt.“