Autor: Markus Oess
Lapo Cianchi, Director of Communication, Special Events and International Relations Pitti Immagine, nimmt Anleihen bei der Kunst, wenn es über Mode ist. Wenigstens ist Mode ein Kulturgut. Die Pitti Uomo hat sich eine Führungsposition auf dem Kontinent erarbeitet, die mit jeder weiteren Ausgabe der Messe aufs Neue untermauert werden muss. Wachstum funktioniert nur über Wandel, sagt Cianchi sinngemäß. Was das für die Pitti Uomo bedeutet und was Mode und Literatur gemeinsam haben.
FT: Herr Cianchi, über Autos, gerade wenn es um deutsche und italienische Marken geht, lässt sich gut über Design, Qualität und Funktion streiten. Wie sehen Sie das bei der Mode?
Lapo Cianchi: „Natürlich lässt sich auch über Mode vorzüglich diskutieren. Wir sprechen genauso über Design, über Qualität der eingesetzten Stoffe und in der Verarbeitung. Es geht um Funktion und um Nachhaltigkeit. Es ist im Grunde ein Dialog zwischen Mode und anderen kulturellen Disziplinen, wie bildende Kunst, Musik und so weiter. Mode ist ein Universum, eingepackt in ein einziges Produkt. Und es geht um Selbstzufriedenheit.“
Die Pitti #92 ist mit „BOOM PITTI BLOOMS“ überschrieben. Was ist damit gemeint?
„Jede Ausgabe der Pitti Uomo steht unter einem anderen Motto. Wir wollen jede Ausgabe immer wieder neu gestalten, überraschen und die Einkäufer in einer veränderten Welt empfangen, denn die Welt da draußen verändert sich auch. In kurzen Worten geht es diesmal um Blumen. Diesmal wird die Fortezza da Basso blühen. Blumen sind eine Metapher für Entwicklung, für Veränderung, für Schönheit und vielleicht auch für Vergänglichkeit, die auch auf Mode so gut passt. Die Vergänglichkeit der Mode findet übrigens ihre Entsprechung in der Ausstellung ‚Il Museo Effimero della Moda‘ im Palazzo Pitti, was so viel bedeutet wie ‚das vergängliche Modemuseum‘.“
Was wird sich diesmal noch ändern?
„Wie gesagt, wollen wir immer aufs Neue überraschen und Ausstellern wie Besuchern eine neue Perspektive auf Mode eröffnen. Das bedeutet auch, dass wir die Messe immer wieder neu strukturieren. Diesmal trifft es die Brands, die bei TOUCH! untergebracht sind. TOUCH! zieht in den Padiglione Medici und FUTURO MASCHILE in den Sala delle Nazioni sowie die Arena Strozzi. Der Bereich MAKE kommt zum ersten Mal in der Sala della Ronda unter. Insgesamt werden rund 250 Aussteller ihren Standort wechseln. Das sind immerhin ein Fünftel aller Brands.“
Sind denn alle Aussteller, die von der Neuordnung betroffen sind, damit einverstanden?
„Das ist sicher ein sensibles Thema. Wir haben die Neuordnung im Dialog realisiert und die Aussteller in Einzelgesprächen davon überzeugt, dass wir alle davon profitieren, wenn wir die Spannung auf der Pitti hochhalten und die Messe so gestalten, dass sie das bestmögliche Angebot mit dem bestmöglichen Service schafft.“
Wie würden Sie die Position der Pitti im internationalen Kontext auch zu anderen Messen bewerten?
„Wir sind auf internationaler Bühne eine führende Messe und diese Position müssen wir immer wieder festigen. Wir haben uns diese Position über die Jahre erarbeitet, weil es uns gelungen ist, nicht nur eine funktionierende Fashionmesse zu etablieren, sondern weil wir sicher auch zu den führenden Fashion Weeks gezählt werden. Wir verbinden Produkt, Mode und Markt mit Glamour und den Emotionen der Modewelt und beanspruchen für uns, in jeder Disziplin das bestmögliche Angebot nach Florenz zu holen. Wir müssen immer in der Lage sein, in einer sich schnell verändernden Welt diese Veränderungen nachzuvollziehen. Ich denke, das gelingt uns ganz gut. Das unterscheidet uns von anderen Messen.“
Der frühe Termin hilft sicher auch, schließlich sind Sie die Ersten in einer Saison, die eine Messe starten.
„Sie haben recht, der frühe Termin hilft uns, um den Spannungsbogen nicht abfallen zu lassen, und sorgt für eine bessere Wahrnehmung im Markt. Im Übrigen startet hier die Order aber schon eineinhalb Monate früher in den Showrooms. Das ändert aber nichts an der Arbeit, an Marktbeobachtung, Recherche und Analyse, die wir in jede Saison investieren müssen, um das Niveau zu halten. Es ist das Gesamtpaket, das die Pitti so besonders macht. Wenn die Pitti läuft, wird die gesamte Stadt Teil dieser Modewelt.“
Die Größe von Florenz hilft aber auch, oder? Stecken Sie die Pitti nach Berlin, dann ist die Präsenz in der Stadt auch eine andere.
„Auch das stimmt. Die Fachbesucher schätzen es sehr, dass sie alle Locations zu Fuß erreichen können. Wir profitieren von der Stadt und Florenz profitiert von uns. Die Pitti ist die Pitti, weil sie in Florenz stattfindet!“
Manche kritisieren, dass es mit staatlicher Unterstützung leichter fällt, eine Messe auf dem hohen Niveau auf die Beine zu stellen.
„Na ja, was für die Branche zählt, ist das Ergebnis. Und auch in Paris, London oder Berlin werden die Messen auf die eine oder andere Art unterstützt. Das relativiert den Punkt doch schon etwas. Der italienische Staat hat vor einigen Jahren die Bedeutung der Mode für die italienische Wirtschaft erkannt und unterstützt uns. Das war nicht immer so. Uns hilft der Support natürlich und wir freuen uns darüber sehr.“
Von welchem Volumen sprechen wir da?
„Abseits von der ideellen Unterstützung erhalten wir eine Förderung in Höhe von 1,8 Millionen Euro, die wir auf insgesamt sieben Messeformate verteilen müssen. Wir veranstalten bekanntlich nicht nur die Pitti Uomo. Aber es hilft uns in den Bereichen Kommunikation und Hospitality. Wir können besseren Service bieten und mehr Werbung betreiben. Ich gebe Ihnen ein Rechenbeispiel. Für die letzte Pitti haben wir schätzungsweise 500.000 bis 600.000 Euro für die Akquise von neuen Besuchern aus den Emerging Markets, auf die wir uns diesbezüglich fokussieren, ausgegeben. Das reicht für rund 400 Personen. Im Schnitt zählen unsere einzelnen Messeausgaben je nachdem zwischen 22.000 und 25.000 Besuchern. Der große Batzen läuft also sowieso. Aber wie gesagt, es ist zusätzliches Geld und es hilft.“
Kommen dann auch bestimmte Ansagen von der Regierung?
„Nein, sie sagen, macht einen guten Job, und der drückt sich für uns in der Qualität der Messe aus.“
Wie wichtig ist der deutsche Markt für die Pitti?
„Es ist der wichtigste Exportmarkt für Italiens Modeindustrie. Deutschland ist der größte Markt in der EU und hat sich in der Vergangenheit erkennbar weiterentwickelt. Sicher ist dort der Wettbewerbsdruck nicht eben kleiner geworden, aber es existieren interessante Brands und Handelskonzepte. Aus diesem Grund arbeiten wir mit unserer Pressevertreterin Maria Stella Diana in Deutschland eng zusammen und sprechen mit Medien wie Ihnen, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten und um den Daumen am Puls der Zeit zu halten.“
In der jüngeren Vergangenheit ist die Messe wieder erstarkt, was bringt der deutsche Markt konkret?
„Jede Saison zählen wir um die 1.000 deutsche Einkäufer. Im Schnitt stellen bei uns 40 deutsche Brands aus. Mal sind es mehr, mal weniger. HUGO BOSS zum Beispiel war in den 1990er-Jahren von Köln zu uns gewechselt. Damals wurden immer sehr interessante Projekte realisiert. Dann war die Gruppe zwischendurch abgesprungen und hat sich generell von Messen verabschiedet, kehrte aber für einzelne Events in den Jahren 2006 und 2010 nach Florenz zurück. Jetzt im Sommer präsentiert das Unternehmen, wie Sie wissen, auf einer besonderen Fashion Show die Kollektion HUGO FS 2018.“
Sehen Sie noch Wachstumschancen für die Messe?
„Schwer zu sagen. Nennenswertes quantitatives Wachstum kann ich mir nur schwer vorstellen. Qualitatives, strukturelles Wachstum wird es geben. Wir liefern den Einkäufern als Erste einen Überblick über die nächste Saison. Wir wollen zeigen, was die Verbraucher wirklich denken, was sie sich wünschen. Auch wenn ich weiß, dass es ‚den‘ Verbraucher nicht gibt – nicht in einem Land und schon gar nicht auf internationalem Niveau. Schauen Sie nur auf Deutschland und Italien zum Beispiel. In Deutschland ist Nachhaltigkeit inzwischen ein klares Kaufargument. In Italien achten die Endkunden weniger darauf. Der Markt, die Brands, die wir bespielen, bildet nur einen kleinen Teil der einzelnen Märkte in den Ländern ab. Aber zusammengenommen ist es dann doch eine Menge. So gesehen werden sich das Portfolio der Messe und ihre Angebote weiterentwickeln und ‚wachsen‘. Aber es ist wie in der Literatur: Es gibt viele richtig gute Bücher, die unterhalten. Aber es gibt nur wenige herausragende Autoren.“
Werden sich die Messen mit der Digitalisierung der Branche neu definieren müssen?
„Die Art und Weise, wie wir kommunizieren und wie sich der Markt mit neuen Playern segmentiert, wird sicher auch Auswirkungen auf die Messe haben. Was aber im Grunde bleibt, ist eine Plattform, auf der Industrie und Handel zusammenkommen, um über Produkte zu sprechen. Wir kuratieren die besten Brands, bringen die Player zusammen und liefern Input, indem wir Trends in der Mode und im Markt möglichst in Echtzeit aufgreifen und übersetzen.“
Sollten Sie die B2B-Messen den Verbrauchern öffnen?
„Ja, das glaube ich schon. Aber nicht, indem wir einfach physischen Zugang zur Messe gewähren. Das muss intelligent geschehen und die Kommunikation zwischen Produkt, Marke und Handel auf den Verbraucher ausgedehnt werden, angereichert mit für Endkunden relevanten Informationen. Dabei werden uns die digitalen Medien und ihre Möglichkeiten sicher helfen.“
Sommer-Vibes in Florenz
von Angela Cavalca
Vom 13. bis 16. Juni warten die Florentiner Herrenmodetage wieder mit einem umfangreichen Programm in der Fortezza da Basso auf. Etwa 30.000 internationale Besucher werden in der Stadt begrüßt. Auf der Mailänder Pressekonferenz zur Präsentation der Pitti Uomo wurden die letzten Neuheiten von den Messeorganisatoren offiziell angekündigt.
Anfang März folgte Claudio Marenzi, Chef von HERNO, auf Gaetano Marzotto als Präsident der Pitti Immagine. „Das ist für mich sehr bedeutend“, sagt Marenzi. „Mein Unternehmen hat an der Messe immer teilgenommen und ich möchte mich bei Gaetano für die wichtigen Veränderungen, die er vorgenommen hat, bedanken. Ich freue mich auf diese Herausforderung und hoffe, ein würdiger Nachfolger zu sein.“ Daneben ist Marenzi auch Präsident von Sistema Moda Italia, dem italienischen Textil- und Modeverband.
Verbesserungen gebe es, wie Pitti-Immagine-Geschäftsführer Raffaello Napoleone erklärte, bei der Geografie der Messe, die große logistische Investitionen erfordert habe. So werden die Mode- und Lifestyle-Kollektionen Frühjahr/Sommer 2018 auf einer Ausstellungsfläche von 60.000 Quadratmetern in der Fortezza da Basso vorgestellt. Neben den kontemporären klassischen und modernen Sportswear-Kollektionen der Lifestyle-Marken, die etwa 50 Prozent der Aussteller ausmachen, wurden auch die Flächen erweitert und neu gestaltet. Die Sektion MAKE befindet sich zum ersten Mal in der Sala della Ronda, UNCONVENTIONAL verdoppelt die Fläche. TOUCH! zieht in den Padiglione Medici, FUTURO MASCHILE in den Sala delle Nazioni und die Arena Strozzi. Auf der Messe werden insgesamt 1.200 Marken, darunter 540 aus dem Ausland, gezeigt. Durch das digitale Projekt e-PITTI.com können ab dem 26. Juni über einen Zeitraum von neun Wochen rund 6.000 Teile von 920 Marken weiterhin gesichtet werden, ergänzt um zusätzliche Informationen über die Kollektionen und Trends.
Blumen als Bild für Mode
„BOOM, PITTI BLOOMS“ lautet diesmal das Hauptthema. Das Konzept unter der Artdirection des Lifestylers Sergio Colantuoni soll die Vitalität und Energie von neuen Ideen darstellen. Während der Messetage gibt es Special Events mit weltbekannten Marken und Designern wie JW ANDERSON, Christian Louboutin, Virgil Abloh und HUGO BOSS mit der Linie HUGO. Auch junge Designer wie Federico Curradi und Alanui und neue Talente aus Australien und Japan werden vor Ort sein. PS by Paul Smith und Tommy Hilfiger haben ihre Anwesenheit bestätigt, BALLY wird eine neue Sneakers-Kollektion präsentieren und BAGUTTA in Zusammenarbeit mit Unternehmer und Influencer Alessandro Squarzi ein neues Hemden-Projekt lancieren. Außerdem sind Sonderausstellungen der beiden italienischen Textilunternehmen VITALE BARBERIS CANONICO und LANEROSSI geplant.
Das Programm wird durch verschiedene Mode-Events in der Stadt abgerundet. Ein Highlight sind zwei Ausstellungen in Zusammenarbeit mit der Gallerie degli Uffizi: „Il Museo Effimero della Moda“ im Palazzo Pitti und „Il capriccio e la ragione. Eleganze del Settecento Europeo“ im Museo del Tessuto in Prato. Dort können die Besucher exklusive Modeteile und Textilien aus historischen Archiven besichtigen.