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Autor: Andreas Grüter
Digital oder analog? Eine der zunehmend wichtigen Grundsatzfragen der modernen Industriegesellschaft ist mit Curated Shopping längst auch im gehobenen Modebusiness angekommen. Wir haben nachgeforscht, wie es aktuell um die Beratung auf der Grundlage von Algorithmen bestellt ist und mit welchen Maßnahmen der stationäre Handel gegenhalten kann.
Zalon, OUTFITTERY, MODOMOTO – vom stationären Fachhandel häufig als die unheilige Dreifaltigkeit des Leibhaftigen wahrgenommen, die alteingesessenen Modegeschäften mit allzu verlockenden Online-Angeboten den Garaus macht, liegen Curated-Fashion-Shopping-Anbieter bei einer wachsenden Zahl treuer und zumeist männlicher Kunden voll im Trend. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und reichen von Zeitmangel, Desinteresse und Bequemlichkeit über den Wunsch nach Inspiration und Stilveränderung bis hin zur Alternativlosigkeit, etwa in dünn besiedelten Gebieten. Für Niklas Bolle, Mitbegründer von MODOMOTO, ist die Hauptursache, warum sein Unternehmen jährlich um gut 100 Prozent wächst, jedoch vor allem im Rückzug aus der fundierten Beratung zu sehen, den große Teile des Einzelhandel bereits vor Jahren angetreten haben. „Verkäufer sind häufig nur noch Aushilfskräfte, die dementsprechend wenig geschult werden. Mit unserem Service haben wir die Aufgabe des klassischen Herrenausstatters, der seine Kunden kennt und um ihre Vorlieben weiß, übernommen und in den E-Commerce übersetzt.“ Das Berliner Unternehmen versteht sich dabei als absoluter Premiumanbieter, setzt auf langfristige Kundenbindung und fährt, ebenso wie die konzeptionell ähnlich aufgestellte Konkurrenz von OUTFITTERY, eine Full-Price-Politik ohne Rabattschlachten.
Am Anfang steht der Fragebogen
Der Türöffner zum personalisierten Online-Shopping ist bei allen Anbietern der gleiche – ein Fragebogen, der neben Körpermaßen, Lieblingsfarben und Budgetvorstellungen unter anderem auch Lieblingsmarken und mögliche No-Gos abfragt. Danach führen Mitarbeiter ausführliche Styling-Gespräche mit den Kunden. Laut einer ehemaligen Stylistin von Zalon, dem Zalando-Spin-off für Curated Shopping, wird vom Unternehmen dafür ein Effizienzrichtwert von circa 20 Minuten pro Gespräch vorgegeben, der von den hauptsächlich auf selbstständiger Basis arbeitenden Mitarbeitern nach eigenem Ermessen verlängert werden kann, natürlich zulasten des eigenen Geldbeutels. Zielgruppe sind hier im Gegensatz zu den Mitanbietern sowohl Männer als auch Frauen. Dank der Zalando-Anbindung haben Kunden nicht nur eine große Auswahl, sie können auch an Sales-Aktionen teilnehmen, was bei einem Usertest von n-tv den letztendlichen Ausschlag für Platz eins in der Gunst der Nutzer gab. Bei der Beratung, der Zusammenstellung, der kostenfreien Lieferung und Retoure und dem Service rund um die Bestellung geben sich gleichwohl auch OUTFITTERY und MODOMOTO als Zweit- und Drittplatzierte konsequent nutzerfreundlich.
Curated Shopping in der Einkaufszone?
Dass Curated Shopping als reizvolles Erfolgsrezept nicht ohne Weiteres vom klassischen Modehandel übernommen werden kann, macht das Beispiel P&C deutlich. Fashion ID, die E-Commerce-Plattform des Düsseldorfer Traditionshauses, stellte das Curated-Shopping-Projekt „Stilbox“ Ende 2015 nach nicht einmal einem Jahr wieder ein. Schmallippig verwies man dabei auf Zahlen, die hinter der Erwartung zurückgeblieben wären. In der Tat ist das Geschäftsfeld weit komplexer, als es sich nach außen darstellt. Anna Alex, Mitbegründerin von OUTFITTERY, verweist auf die komplizierte Technik, auf der das Konzept basiert. Deren fortlaufender Optimierungsbedarf würde mindestens 50 Prozent der Gesamtarbeit ausmachen. Für Niklas Bolle liegt die Chance des stationären Handels in der Rückbesinnung auf seine beratenden Stärken, und so ist es vielleicht auch nur konsequent, dass das Unternehmen mit dem Berliner „Fitting Room“ seit einigen Jahren auch eine analoge MODOMOTO-Variante betreibt.