Was Männer wollen

Style-Check

Die Auswahl an Klamotten wächst. (Bild: Adobe Stock)

Autor: Tays Köper-Kelemen

Das Männerbild auf deutschen Einkaufsmeilen ist bunt. Es treffen bärtige Hipster auf glatt rasierte Anzugträger, lässige Sportfreunde auf Liebhaber unaufgeregter Alltagskleidung. Angesichts der Typenvielfalt stellt sich für den Handel – vielleicht mehr denn je – die Frage, was Männer im Gros eigentlich wollen. Was ist ihnen in Sachen Bekleidung besonders wichtig? Welchen Stellenwert nehmen Trends ein? Und inwieweit spielen beim Thema Mode gesellschaftliche Umbrüche eine Rolle? Wie Männer wirklich ticken, wo sie kaufen, was sie anziehen.

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Mark F., 41 Jahre alt, weiß auf Anhieb, worauf es ihm bei der Kleiderwahl ankommt. „Ich achte sehr auf Funktionalität und Qualität“, kommentiert er spontan. Und auch Schüler Safir B., 17 Jahre alt, möchte, dass seine Kleidung gut sitzt und gepflegt aussieht. Bequemlichkeit sei ein wichtiges Kriterium, der Look dürfe dann allerdings von lässig bis hin zu klassisch variieren. Dominik E., 30 Jahre alt, bevorzugt ebenfalls Kleidung, die über einen hohen Tragekomfort verfügt und durch einen perfekten Sitz gekennzeichnet ist.

Das Ergebnis einer stichprobenartigen Straßenumfrage findet sich in diversen Studien bestätigt: Männer legen viel Wert auf eine gute Qualität und Passform. Eine Untersuchung von LG Electronics und dem Marktforschungsinstitut YouGov stellt aktuell heraus, dass für deutsche Konsumenten Qualität (97 Prozent) und Material (95 Prozent) noch ausschlaggebender sind beim Kleiderkauf als Preise (94 Prozent). Im Zusammenhang damit sind Marken wichtig, für Männer (44 Prozent) spielen sie eine größere Rolle als für Frauen (38 Prozent). Wie wenig Kleidung heutzutage zwicken, einengen oder kratzen darf, lässt sich nicht zuletzt auch an den Trends der Männermode-Plattformen PITTI UOMO sowie PREMIUM MEN ablesen. In den vergangenen Saisons gerieten gute Haptiken und hochwertige Qualitäten zunehmend in den Fokus der Hersteller und Händler. Christo P., 29 Jahre alt, ergänzt: „Ich mag schmale Schnitte und gute Qualitäten. Beim Kauf achte ich grundsätzlich immer auf gute Materialien und hochwertige Verarbeitungen. Das Produkt soll nicht schnell kaputtgehen, ich möchte möglichst lange etwas davon haben.

Mode wird wichtiger

Doch es geht Männern nicht allein um Qualität und Passform. So meinten nahezu alle Teilnehmer der Straßenumfrage, dass Männer heutzutage sicherlich modeaffiner und -interessierter sind als noch Jahre zuvor. Sie gaben ebenso an, sich selbst gerne inspirieren zu lassen. Mark F. möchte sich möglichst individuell kleiden und nutzt das Leben selbst als Inspirationsquelle, während Safir B. – charakteristisch für seine Generation – im World Wide Web diverse Blogs und soziale Netzwerke besucht, um sich modisch zu informieren. Dominik E. schmückt sein Businesshemd zur Abwechslung auch gerne einmal mit einer Fliege anstatt einer Krawatte. Stefan Jakobs, Buying Director der Anson’s Herrenhaus KG, bestätigt: „Generell stellen wir fest, dass sich Männer intensiver mit dem Thema Mode auseinandersetzen. Mit Sicherheit sind Social-Media-Kanäle als Informationsquelle oder die Möglichkeit des ,bequemen‘ Online-Einkaufs zwei wichtige Treiber für diese grundsätzliche Entwicklung. Insbesondere junge Männer wissen genau, was sie wollen, vor allem beim Anzug: Der perfekte Sitz mit dem richtigen Hemd und einer modischen Krawatte ist vielen wichtig. Seit der vergangenen Saison erkennen wir zudem eine deutlich erhöhte Nachfrage nach modischen Slim-Fit-Anzügen. Selbst klassische Kunden tragen ihre Anzüge körperbetonter als in der Vergangenheit.“ Ein Plus an Modeinteresse spiegelt sich auch in den Zahlen vom Bund Deutscher Textileinzelhändler wider. Über die vergangenen Jahre hinweg lässt sich ein stetiger Umsatzzuwachs bei Herrenbekleidung konstatieren. Das Umsatzvolumen in Deutschland lag 2015 etwa bei 16,7 Mrd. Euro, 2014 waren es noch 16,4 Mrd. Euro.

Hand in Hand mit dem Anspruch an Tragekomfort gehen zumindest im Rahmen der Straßenumfrage zwar modische, jedoch merklich unkomplizierte Designs. Mark F. verzichtet vornehmlich auf laute Prints und wilde Muster. Dominik E. betont, dass er sich nicht verkleidet fühlen wolle, wenn auch modische Ausreißer beim Business-Outfit erlaubt seien. Casual Looks stehen bei allen Befragten hoch im Kurs, die lässig und dennoch gepflegt aussehen. Stilmix-Storys sind beliebt.

Immer und überall der passende Look

Das Ergebnis wundert wenig. Die heutige Zeit ist durch Schnelllebigkeit geprägt und fordert Anpassungsfähigkeit. Die Grenzen zwischen Berufsleben und Privatleben verschwimmen zusehends. In Metropolen wie London haben Firmen in ihren Räumlichkeiten Duschkabinen eingerichtet, da immer mehr Arbeitnehmer bereits auf dem Weg zum Job ihr Sportprogramm absolvieren. Nach dem Büro führt der Weg nicht nach Hause, sondern direkt weiter zum After Work Happening. Zeit zum Umziehen ist nicht vorhanden. Da braucht es einen Look, der immer und überall passt, jede Alltagssituation bestens mitmacht.

Inwieweit Grenzen verwischen und beispielsweise das Thema Sportivität in das Modebewusstsein der deutschen Konsumenten eingedrungen ist, verdeutlicht eine Umfrage des Beratungsunternehmens KPMG mit 500 Probanden. Demnach gab ein Drittel der Befragten an, die Ausgaben für Sportbekleidung in den letzten zwei Jahren gesteigert zu haben, jeder Zweite bestätigte, Sportbekleidung auch im Alltag zu tragen. Entsprechend kommt es den Befragten bei Sportartikeln nunmehr weniger auf Marke als verstärkt auf Optik an. Und auch das Beratungsunternehmen McKinsey & Company ermittelte im Rahmen der Studie „Business of Fashion“, dass das Bedürfnis nach informeller, bequemer Kleidung die Verkaufszahlen für Sportmode derzeit in die Höhe treibt. Während für andere Bereiche der Mode, zum Beispiel das Luxus-Segment, Einbußen hingenommen werden müssen, provoziert durch politische Krisen und damit einhergehende Verunsicherungen des Konsumenten, so erwartet man 2017 für das sportive Segment ein Umsatzwachstum in Höhe von 6,5 bis zu 7,5 Prozent.

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Statement gegen Konformität

Der Trend hin zu tragefreundlichen Looks darf wohl auch als bewusstes Statement gegen klassische Konformität gewertet werden. Neue technologische Entwicklungen sowie die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche sind auf dem Vormarsch, Ikonen wie Steve Jobs und Mark Zuckerberg haben mit ihrem unaufgeregten Casual-Stil enorme Strahlkraft entwickelt. Authentizität gilt als Gebot der Stunde. Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken kommentiert in einem Interview mit dem Magazin brand eins: „Im Silicon Valley, in vielen kreativen Berufen, auf dem Campus in Yale oder Harvard ist nicht mehr der alte neutrale Anzug der gängige Dresscode, sondern Chinos und T-Shirt. Das beste Beispiel sind die Jeans und der dunkle Rollkragenpullover von Steve Jobs. Die antimodische Aussage zu betonen, dass es auf Äußerlichkeiten nicht ankomme und man Wichtigeres im Kopf habe, ist vom Anzug zu diesen neuen Formen von Nicht-Mode der Streetwear gewandert.“ Buying Director Jakobs beobachtet zwar eine Wiederbelebung angezogener Looks, doch auch hier sei Kunden das Thema „Alltagstauglichkeit“ immer wichtiger.

Das Stichwort Authentizität nimmt indes auch für Hans S., 65 Jahre alt, eine besondere Stellung ein. „Meine Kleidung muss in erster Linie zu mir passen, tragbar und authentisch sein. Dabei kommt es mir nicht auf bestimmte Marken an“, erklärt er. „Statussymbole spielen keine Rolle, man selbst muss gewissermaßen Status verkörpern!“ Nichtsdestotrotz lässt sich auch Hans S. gerne inspirieren. „Ich sehe mir in der Stadt gerne gut gekleidete Männer an, sie sind tolle Ideengeber – und dies völlig unabhängig vom Alter.

Fest steht: Das Selbstverständnis des Mannes befindet sich derzeit im Umbruch. Ähnlich wie Frauen bewegen sich Männer heute zwischen verschiedenen Rollenerwartungen, sind um eine positive Work-Life-Balance bemüht. An die Stelle des patriarchischen Haupternährers rückt mehr und mehr der berufstätige Vater, der mehr Zeit für Familie und Freunde haben will. Laut einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney wünscht sich ein Drittel der in Vollzeit arbeitenden Männer, Arbeitszeit zu reduzieren, um so mehr Aufgaben in der Kindererziehung übernehmen zu können. Insgesamt 75 % der Befragten lehnen das männliche Alleinverdiener-Modell ab.

Mann will sein Leben individuell nach seinen Bedürfnissen gestalten, damit konform geht ein persönlich geprägter Kleidungsstil – alltagstauglich und wertig. Die enorme Wichtigkeit eines eigenen Stils untermauert neben der Straßenumfrage auch die Studie von LG Electronics und YouGov, derzufolge 61 Prozent der Männer Wert auf individuelle Kleidung legen. Der Zukunftsforscher Tristan Horx konstatiert: „Sicherheitsgefühle prägen das Konsumverhalten. Leute wollen immer weniger Wegwerfware und immer mehr individualisierte, personalisierte und lang anhaltende Modestücke. Funktionalität darf nicht dem Style erliegen – es muss eine Kombination aus beiden Komponenten sein. Hier spielt auch der Megatrend Individualisierung mit, die Rückbesinnung auf Handwerkswaren, qualitative, anhaltende Unikate.“ Auch im Handel hat man den Trend hin zu Individualität längst erkannt. Jakobs erklärt: „Für besonders anspruchsvolle Kunden fertigen wir individuelle Anzüge, Dinnerjackets oder Smokings mit unserem Made-to-Measure-Programm. An ausgewählten Standorten (Hamburger Mönckebergstraße, Kölner Schildergasse, Düsseldorfer Shadow Arkaden) wählen unsere Kunden aus über 350 Stoffen und verschiedenen Standardmustern.

Der Wunsch nach Individualität

Mit Blick auf den Mann sowie sein zukünftiges Begreifen und Leben von Mode bleibt sicherlich festzuhalten: Der Wunsch nach Individualität, das Ausbrechen aus tradierten Lebensentwürfen und die neue Rollenvielfalt des Mannes, als Vater, Berufstätiger und Freizeitmensch, ziehen mitunter eine Aufweichung von klassischen Geschlechtergrenzen nach sich. Horx kommentiert: „Der Gender Shift hat den Bereich Mode und Lifestyle grundlegend verändert. Die Nachfrage nach Unisex-Kleidungsstücken wird immer größer, die Barrieren zwischen den Geschlechtern werden immer weicher. Nach dem Trend des Metrosexuellen hat sich das klassische Männerbild allmählich gewandelt – Hygiene, Styling, Achtsamkeit werden im Männermodebereich immer wichtiger. Diese Bedrohung des klassischen Männerbildes hat im Hipster-Look seine Synthese gefunden. Viel Augenmerk auf Pflege, stilisierte Kleidung, gekrönt mit dem ältesten aller Männlichkeitssymbole: einem (gut gepflegten) Bart.

Ob der sich abzeichnende Trend hin zu Unisex-Kleidung auf nachhaltiger und breiter Ebene bei den Männern auf der Straße ankommt, wird sich zeigen. Die PITTI UOMO widmet geschlechtsübergreifenden Kollektionen bei der folgenden Edition jedenfalls eine eigene Plattform. Horx ergänzt: „Das Männerbild differenziert sich. Lange definierte sich das Männerbild durch die Abgrenzung vom Frauenbild – diese Zeiten sind vorbei. Durch die Synthesen beider Geschlechter werden interessante Modetrends entstehen, manche floppen, manche werden nur kurz vorhanden sein und als peinliche Phase in Erinnerung bleiben. Ein wichtiges Element in diesem Prozess wird sein, wie stark der Rekurstrend, also das Rückbesinnen auf alteingesessene Männerbilder, eine Gegenwehr konstituieren wird. Der gepflegte Holzfäller-Look im Büro ist zum Beispiel eine funktionierende Synthese, rasierte Augenbrauen bei Männern eher nicht.