Das Auge misst mit

Digitalisierung

Den Kunden im Laden digital erforschen. Die richtige Antwort auf die Systemvorteile der Online-Konkurrenz? (© pixabay)

Autor: Markus Oess

Online-Händler ziehen selbst bei kurzen Verweilzeiten auf ihrer Website zahlreiche Informationen über ihre Besucher und deren „Customer Journey“ ab. Informationen, die helfen, Sortimente und Serviceleistungen kontinuierlich auf die Kunden und deren Bedürfnisse auszurichten. Besonders bei personalisierten Angeboten für bestimmte Kunden oder Kundengruppen sind Online-Händler ihren stationären Konkurrenten um Längen voraus. Jetzt soll der stationäre Handel aufrüsten und den Kunden im Laden besser erforschen.

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Kameras an öffentlichen Plätzen sind kein Aufreger mehr. Staatskontrolle ist die Währung, in der Menschen für ihr persönliches Sicherheitsempfinden zahlen. Aber wie ist es in der privaten Wirtschaft? Nach einer Studie des EHI Retail Institute, Köln, stehen knapp 84 Prozent der befragten Kunden solchen Überwachungssystemen neutral gegenüber. Knapp 12 Prozent halten ihren Einsatz sogar für positiv oder sehr positiv. Im Ausland sei die Akzeptanz sogar noch höher, heißt es weiter. Händler, die eine Kameraanlage installieren, müssen kaum mit negativen Reaktionen rechnen. „Die Kunden erkennen zunehmend, dass solche Systeme auch ihrer eigenen Sicherheit dienen“, meint EHI-Experte Marco Atzberger.

Doch geht es längst nicht mehr um das bloße Filmen von Kunden. Die Bilder lassen sich mit entsprechender Software auswerten, um das Kundenverhalten detailliert zu analysieren. Beispiele führt die Fachmesse EuroCIS, Düsseldorf, einige an: „Die Systeme identifizieren Kfz-Kennzeichen auf dem Parkplatz, vermitteln so ein Bild des aktuellen Einzugsgebiets und unterstützen eine effektivere Marketing-Planung. Sie zählen die Kunden auf der Verkaufsfläche – daraus lässt sich die Conversion Rate ermitteln und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung des Frequenz-Kauf-Verhältnisses aufsetzen. Sie verfolgen die Laufwege der Kunden, stellen „Heatmaps“ der einzelnen Zonen im Store zur Verfügung und zeichnen damit ein Bild von Zahl und Aufenthaltsdauer der Kunden in einzelnen Ladenbereichen. Auf dieser Basis lassen sich Kundenläufe besser steuern oder Aktionszonen optimal platzieren. Die Kamera erfasst Stimmung und Kauflaune.“

Es scheint, je größer der Laden oder die Anzahl der Filialen, umso mehr rentiert sich die digitale Aufrüstung. Inzwischen ist eine gruppenweise Identifikation der Kunden nach Geschlecht, Alter und weiteren Kriterien durchaus möglich. Damit lassen sich Sortimente und Aktionsangebote gezielt auf die Kundenstrukturen ausrichten. Einige Anbieter probieren sich am „Affective Computing“. Kamera-Sensoren erfassen die Gesichtszüge und die Gesten von Kunden, um deren Stimmungslage und Kauflaune abzulesen. Mittels Gesichtserkennung können die Kameras registrierte Stammkunden ausmachen, um Botschaften und Angebote aufs Handy zu schicken oder um dem Verkaufsmitarbeiter die Kundendaten aufs Tablet zu spielen.

Auf der zurückliegenden EuroCIS 2018 in Düsseldorf wurden solche technische Lösungen gezeigt. Im Fokus stand dabei die IP-Kameratechnologie, die nach Auffassung der Messe-Macher die im Handel seit Jahren eingesetzte Lichtschranken-, Radar- oder Lasertechnik ablöst. Technologien, die lediglich der reinen Frequenzmessung dienten. „Neuinvestitionen beziehen sich inzwischen fast ausschließlich auf die Kameratechnik“, sagt Ralph Siegfried, Consultant Business Development Retail bei der Axis Communications GmbH. Noch befindet sich Instore Analytics auf Basis von (-3D-)IP-Kameras ziemlich in den Anfängen. Erste Projekte aber gibt es bereits. So wurde ein Schmuck- und Accessoires-Store mit IP-Kameras von Axis ausgerüstet, um die Umdekoration und Neuplatzierung bestimmter Produkte zu untersuchen. Dabei wurde der Präsentationsbereich vor und nach der Maßnahme über zwei Tage lang im Zeitraffer erfasst. Die Auswertung ergab nach Angaben der Anbieter eine deutliche Verbesserung der Conversion Rate.

Zweites Beispiel: Im Schaufenster eines Fashion Stores wird eine Kamera montiert, die die Passantenfrequenz misst. Eine zweite Kamera am Store-Eingang erfasst die Besucherfrequenz. Dadurch lässt sich die sogenannte Capture  oder Fishing Rate (also das Verhältnis Besucher zu Passanten) ermitteln. Eine Auswertungssoftware der DILAX GmbH analysiert diese Kennziffer im Zeitablauf und auf dieser Basis können Konsequenzen für die Schaufenstergestaltung gezogen werden. „Unter den Leistungskennziffern sollte der Fokus auf zwei strategischen Größen liegen – nämlich auf der Capture Rate und auf der Conversion Rate“, sagt Carolina Hinrichsen, Head of Sales bei DILAX.

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Im Laden selbst (so er denn groß genug ist) helfen Store-Analytics-Anwendungen, die Kunden auf der Verkaufsfläche zu lokalisieren. Daraus werden Heatmaps erstellt, die die Laufwege der Kunden durch den Store regal- und produktgenau abbilden. Und auch hier kann per Videoclip oder über Handybotschaft in Echtzeit mit exakt jenen Kunden kommuniziert werden, die sich an einem bestimmten Ort aufhalten und ein bestimmtes Produkt betrachten. Die Pyramid Computer GmbH hat eine entsprechende, auf Ultraschall basierende Lösung entwickelt.

Die digitale Aufrüstung, so der Grundtenor der IT-Anbieter, helfe dem stationären Händler, Boden gegenüber der Konkurrenz im Internet gutzumachen. „Denn Online-Händler generieren auch bei kurzen Verweilzeiten auf der Website zahlreiche Informationen über ihre Besucher und deren Customer Journey. So können sie Sortimente und Serviceleistungen kontinuierlich optimieren, insbesondere auch Angebote personalisieren und auf bestimmte Kunden oder Kundengruppen ausrichten“, wird argumentiert. Dass möglichst automatisierte Kundendaten und Kundenverständnis im Retail zusehends in den Fokus rücken, lässt sich auch daran ablesen, dass Anbieter wie Checkpoint Systems, mit einer Dependance im baden-württembergischen Hirschhorn, ihr Portfolio sehr viel stärker daran ausrichten und strategisch ausbauen, wie ein Besuch auf der EuroCIS deutlich zeigt. Das Unternehmen kommt aus dem Bereich Warensicherung und Diebstahlschutz, rückt aber die zunehmende Konnektivität eines Stores im Einzelhandel in den Mittelpunkt.

„Ein schlüssiges Gesamtkonzept für alle Anwendungsbereiche ist erforderlich“, sagt Ralf Schienke, Vertriebsleiter Handel Deutschland bei Fujitsu. Gegenüber FT macht er diese Rechnung auf: Laut Studien blieben die Verbraucher 9 Minuten auf einer Website und der Händler wisse alles. Im Laden liege die Verweildauer je nachdem bei 12 bis 20 Minuten und der stationäre Händler erfahre nichts über seine Kunden. Mit „Retail Engagement Analytics“ stellte Fujitsu auf der EuroCIS eine umfassende Analyse-Software vor, die nicht auf eine bestimmte Technologie festgelegt ist, sondern zum Beispiel Wi-Fi- mit Kameradaten oder Sensordaten mit PoS-Transaktionen verknüpfen kann. Es gehe darum, Daten zu sammeln, sie in die richtige Beziehung zueinander zu setzen und zu analysieren. Daraus aber sollten konsequent Handlungsanweisungen abgeleitet und auch umgesetzt werden, so Schienke weiter. Allerdings sind die Lösungen für Großfilialisten gedacht. Fujitsu zielt auf die Top 100 im deutschen Handel.

Letztlich wird Store Analytics auf dem Niveau zum Big-Data-Projekt. „Um dauerhaft profunde Grundlagen für kundenbezogene Management-Entscheidungen zu erhalten, müssen die über Messungen im Store gewonnenen Erkenntnisse kombiniert werden – mit Kassendaten, mit Warenwirtschaftsdaten, mit CRM-Daten, mit Webshop-Daten, mit extern generierten Referenzdaten“, glaubt Atzberger. „Im Handel revolutioniert die Technologie sämtliche Bereiche in immer kürzeren Innovationszyklen. Digitale Information, Conversational Commerce, Mobile Payment, virtuelle Welten, Big Data, IoT und vieles mehr. Hightech wird für Händler auch und gerade im stationären Handel zur Basis des Erfolgs, denn immer intensivere Kommunikation mit dem Kunden – und dies über alle Kanäle hinweg – wird überlebenswichtig“, schreiben die Macher der EuroCIS abschließend.

Retail Technology

@ Messe Düsseldorf / ctillmann

Auf der EuroCIS wurde die gesamte Angebotspalette speziell auf den Handel zugeschnittener IT-Lösungen geboten: von Omnichannel Management, Business Analytics, Zahlungssystemen und Cash Management über E-Commerce-/E-Business-Lösungen, ERP/Supply Chain Management, Mobile Solutions & Technologies, PoS-Software/-Hardware und Check-out Management bis hin zu Digital Marketing/Digital Signage, Workforce Management, Loss Prevention, Warensicherung und IoT (Internet der Dinge). Die diesjährige Ausgabe der EuroCIS 2018 hat ihre Position als die führende Fachmesse für Retail Technology bestätigt. An den drei Messetagen, vom 28. Februar bis 1. März in Düsseldorf, kamen mit rund 12.000 Besuchern aus dem In- und Ausland so viele wie nie zuvor. Auch die Ausstellerzahl von 470 Unternehmen aus 29 Ländern und die belegte Fläche mit 13.400 Quadratmetern lagen deutlich über denen der Vorveranstaltung.